re:publica — Erstes Zwischenfazit

So, nun einmal chronologisch.

Anfang

Wieder mal die zur Gewohnheit gewordenen Endlosschlangen vor der Registrierung, da trotz zweier Barcodes auf den Tickets immer noch nicht maschinenunterstuetzt abgefertigt werden kann und auch die Schlangen nicht mit Gurt-Bandsystemen oder aehnlichem in geordnete Bahnen gelenkt werden koennen.

Die Keynote von Peter Glaser hat mich gespalten hinterlassen. Der Text war zweifelsfrei gut, den Vortragstil aber beschreibt @lachgas treffend:

Waere ein schoener Blogtext gewesen. Als Vortrag aber? Schade.

Revolution without Revolutionaries

Die eigentlich gar nicht existenten Twitter Revolutionaries: Gleichermassen nett wie treffend. Der Ausdruck sei vollkommen overrated, saemtliche Medien stuerzten sich auch in den unpassendsten Situationen auf Twitterer, um sie nun zu grossen Helden der Revolution hochzustilisieren. Diese erwartungsvolle Haltung locke nun auch Investoren und Finanziers fuer thematisch verwandte Projekte, was zu Dilemmata fuehre: Erstens fliesse nun zwar Geld, aber nicht zwangslaeufig in die richtige Richtung. Zweitens stuenden auch die digitalen Aktivisten vor der schwierigen Frage, ob sie lieber finanziell schlecht ausgestattet, dafuer aber definitiv unabhaengig, oder gut finanziert aber potenziell in ihrer Neutralitaet gefaehrdet sein wollen. Schoenes Zitat: „Give the[ activists] cheap tools to document government brutality“. Diretto? 😉

Praktische Antizensur (scusiblog)

War fuer 1215 angekuendigt, fing dann aber erst um 1230 an, weil Alvar und Florian erst noch den WRT mit aktiver DNS-„Sperre“ nach daenischem Provider-Original-Config-File einrichten mussten. Was dann eh fuer die Katz war, da wir nur zu sechst oder so da sassen und nur einer sein Netbook offen hatte, um festzustellen, dass das „censored.net“ gar nicht gefunden werden konnte. Trotz der darauf folgenden Wechslerei zwischen Impress, Shell und Browser war’s ein netter Rundgang durch die verschiedenen Sperrmechanismen vom geaenderten DNS-Eintrag ueber IP-Sperren bis hin zu den hochgepriesenen Hybridsperren und ihren Umgehungsmassnahmen. Was dann mit alternativen DNS-Servern, VPNs und HTTPS-Proxies in der Regel wenig spektakulaer war.

Aufgefallen: Viele „Geht ja gar nicht“-Argumente stimmen bei genauerer Betrachtung nicht. Natuerlich kann ein repressives Regime HTTPS unterbinden, um den Leuten anonyme Proxies zu verwehren. Die dann ausfallenden Banking- oder Firmenwebsites muessen dann eben auf eine Whitelist, und schon beschwert sich kaum einer mehr. Genauso auch das Argument, die Sperrhardware fuer Deep-Packet-Inspection muesste jedes Jahr verdoppelt werden, da der Traffic exponentiell ansteige — Moores Law gilt natuerlich auch fuer die Hardware, auf der Sperren laufen. Diese Punkte der Debatte scheinen fuer mich etwas stark vereinfacht, was irgendwann einmal zu Erklaerungsnoeten fuehren koennte.

Insgesamt aber eine nette Session in angenehmer Atmosphaere mit unerwarteten Einsichten — dass z.B. doch jeder einen Proxy anbieten koenne oder sogar solle, dass Alvars Insert Coin damals massiv von Surfern aus dem arabischen Raum auf der Suche nach Pornographie genutzt wurde, und dass Google Translate eigentlich auch ein feiner Proxy ist, wenn man z.B. deutsche Seiten von daenisch nach Englisch uebersetzt (probiert’s mal aus.)

Street Photography bzw. Udo Vetter

Wollte ich mir eigentlich ansehen, weil Wlada das bei byt macht und ich die Idee interessant fand. Vorab hatte ich extra nochmal per Mail angefragt, wie das denn ablaufen wuerde, ob ich meine Kamera braeuchte (hatte ich zuhause gelassen), etc. — ausgehend von der Antwort war ich davon ausgegangen, dass ich zumindest am Mittwoch zuhoeren koennen wuerde, wenn auch nicht aktiv am Workshop teilnehmen. War aber nicht so — die Teilnehmerzahl war auf 15 beschraenkt, und wer keine Kamera dabei hatte, wurde hinauskomplimentiert. Alternativ also ein wenig bei Udo Vetter zugesehen und erschreckt festgestellt, dass gefuehlte relativ grosse Teile des Publikums die banalsten Copyrightfragen offenbar als grosse Neuigkeiten auffassten. Jedenfalls, wenn man Twitter glauben darf.

mixd.tv statt Kathrin Passig

Eigentlich wollte ich nun „Wie man Leuten nichts beibringt“ ansehen, der Workshop 2 war aber schon 10 Minuten vorher hoffnungslos ueberfuellt. Wie sich hinterher rausstellte, war das ganz gut, denn erstens war der Vortrag wohl doch nicht so der Brueller, zum anderen habe ich so mixd.tv gesehen, und das ist nun schon nett gewesen.

Das Ganze ist sowas wie ein Desktop-Client, mit dessen Hilfe man Favoritenlisten von Youtube-, vimeo- und sonstigen Videos erstellen kann, die man dann auch mit anderen teilen und abonnieren kann. Die Videos werden dann automatisch „auf der Festplatte gecacht“, wie das schoen umschrieben wurde, und stehen auch offline zur Verfuegung. Ueber verschiedene Plugins (genannt „Magnets“) koennte man dann beispielsweise als Uni eigene Kanaele bereitstellen, oder aber auch die Videos der Mediatheken oeffentlich-rechtlicher Rundfunksender verwenden — und sie so ueber die Sieben-Tage-Grenze hinweg digital aufzubewahren.

Da ein arte-Mitarbeiter und offenbar auch noch diverse andere Leute aus der Verwerterecke zugegen waren, gab es hier mehrmals hitzige Diskussionen ueber Urheberrecht und juristische Probleme, was durch die (sicher unabsichtlich) etwas herablassend wirkende Moderation des Referenten noch gesteigert wurde, der Rechtsbruch im Namen der Innovation konsequent rechtfertigte und immer wieder den Vergleich mit dem Videorecorder oder VDR anstrengte. Nettes Zitat: „Wahrscheinlich war es juristisch hoechst unzulaessig, dass der Kolumbus damals so weit nach Westen gefahren ist.“ Naja.

Ich fand das irgendwann etwas akademisch: Solange arte z.B. seine Inhalte zum Streaming bereithaelt, wird auch irgendjemand die Moeglichkeit haben, ein mixd-Plugin zu schreiben, das eben diese Streams abgreift und auf der Festplatte speichert. Das mag unzulaessig sein, aber wenn der Markt das verlangt, wird es das wohl auch geben. Und dass arte sich furchtbar bemuehen musste, ein Lizenzmodell fuer ein Streamingangebot auf einem streamingfaehigen Fernseher juristisch zu rechtfertigen, ist fuer mich in erster Linie ein Argument dafuer, dass das Lizenzmodell am Arsch ist.

Nicht zuletzt: Wenn ich irgendwo bei den Oeffentlich-Rechtlichen was zu sagen haette, wuerde ich mixd kaufen. Weil genau so ein Tool fuer mich auch endlich den Mehrwert bieten wuerde, fuer den ich freimuetig, ohne Reue und ohne zu zoegern Rundfunkgebuehren bezahlen wuerde — im Gegensatz zum momentanen Unverstaendnis, warum ein Telefon gebuehrenpflichtig sein soll.

35mm-Videographie

Der Vortrag im Stil wieder wie im letzten Jahr. Also immer wieder herumschalten zwischen Slides, VLC und (sporadisch funktionierendem) Internet. Dafuer interessante Diskussionen, ob „schoene Bilder“ nun auch einen guten Nachrichtenbeitrag implizieren, wie sich unsere Sehgewohnheiten durch Youtube und HDTV veraendert haben, und ob die Demokratisierung der HD-Videoproduktionsmittel durch erschwingliche HD-videotauglichen Fotokameras ueberhaupt auch die Demokratisierung des Web-Videos mit sich bringe (Fazit: Weiss man nicht.)

Definitiv blieb bei mir aber wieder der Eindruck haengen, dass es „beim deutschen Webvideo“ mittlerweile nicht mehr nur hauptsaechlich an der technischen Qualitaet mangelt, sondern in erster Linie (und teilweise furchtbar schmerzlich) an gutem Storytelling. Und nachdem ich mich schon freuen durfte, dass es ein Vidcamp in Muenchen geben wird, wuerde ich mich auch ueber eine thematische Aufbereitung dort freuen.

Ansonsten hier mal wieder neue Leute getroffen, denen ich gleich followen musste. Der drei-Kameras-simultan-Aufbau da oben gehoert @icedsoul, und ich habe vollkommen uebersehen, dass Beetlebum im Publikum sass!!!1eins

Auf der Überholspur zum Stoppschild

Linguistische Aufbereitung der Internet-Metaphern durch MaHa, gewohnt unterhaltsam. Interessant die Frage, wie man als „Internet-Community“ selber entsprechend konnotierte Metaphern fuer ungewuenschte Dinge entwickeln und lancieren kann (analog zum „Nacktscanner“). Und abschliessend der Aufruf aus dem Publikum, man moege doch nicht alle Verwerter als „contentmafia“ in einen Topf stecken.

Abendprogramm

Lobo: Ging so.  Twitterlesung: War letztes Jahr besser, bis auf die englischen Tweets von Jeff Jarvis.

Ein Gedanke zu „re:publica — Erstes Zwischenfazit

  1. HeBu

    Ich bin gerade fasziniert davon, dass Google Translate es schafft, deutsche Filmtitel durch ihren englischen Originaltitel zu ersetzen. So wird aus „Cocktail für eine Leiche“ eben nicht „Cocktail for a body“ sondern „Rope“ – so, wie der Film eben von Hitchcock mal benannt wurde. Aus „Der Mondmann“ wird korrekterweise „Man on the Moon“ usw.
    (selber mal gucken? http://bit.ly/9Ap6x4)

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