Die mit viel Leidenschaft innerhalb des Netzes gefuehrte und ausserhalb quasi vollkommen ignorierte Debatte ueber Schirrmachers juengstes Buch habe ich eigentlich nur irritiert-amuesiert vom Spielfeldrand aus beobachtet. Erstens, weil ich „Payback“ noch gar nicht gelesen hatte (und mich wundert bis heute, wie schnell das die Kritiker schafften), hauptsaechlich aber deswegen, weil das argumentative Widerlegen eines deutschlandweit bekannten Feuilletonisten zwar definitiv auf meiner Bucket-List, auf der Prioritaetenliste aber erstmal hinter ein paar anderen Sachen steht. Ihr wisst schon, Studium und so. Und als ich dann endlich Zeit hatte, war ohnehin schon alles gesagt, nur eben noch nicht von allen, und da muss ich mich eigentlich auch nicht mehr einmischen.
Seinen Artikel ueber das „Schwellenjahr 2010“ in der FAZ habe ich hingegen gelesen, und zwar mit Freude. Erstens, weil in dem Text keine Donnerpfeile gegen die generell boesen Entwicklungen der Moderne aus einem mit Haekeldeckchen versehenen Elfenbeinturm geschleudert werden, sondern Schirrmacher durchaus tiefgehende Ahnung von dem zu haben scheint, ueber das er schreibt. Ob die zu 100% von ihm selbst stammt, oder ihm bei manchen Passagen jemand beistand, ist dabei eigentlich nebensaechlich.
Zweitens, weil er mich zum Nachdenken ueber Zukunftsvisionen gebracht hat. Die zeichnen sich ja in der Regel dadurch aus, dass wir alle schon im Jahr 2000 mit fliegenden Atomraketenautos durch die Welt haetten fliegen muessen und fuer uns moderne Leute des Atomraketenautozeitalters immer ein wenig laecherlich wirken. Sie liegen aber im Kern selten verkehrt, wenngleich sie einfach auf ganz andere Art und Weise Realitaet wurden, wie man sich das damals vorgestellt hatte.
Bei Star Trek begibt man sich in ein Holodeck, um an alten Autos herumzuschrauben oder Sherlock Holmes zu spielen — Virtual Reality also, das, an dem seit Jahren herumgeforscht wird, ohne dass man der Zukunftsvision des ganz normalen Holodecks naeher gekommen waere. Zu Recht bezeichnet Schirrmacher das als „Uebergangsbegriff“:
Das Jahr 2010 könnte das Jahr sein, in dem der immer blasser gewordene Begriff „virtual reality“, der Übergangsbegriff des letzten Jahrzehnts, endgültig verlöschen wird. Die Brücke zwischen virtueller und wirklicher Wirklichkeit bricht gerade hinter uns zusammen, kaum dass wir den ersten Fußtritt ins neue Jahr gesetzt haben. Es ist ganz anders gekommen als gedacht. Die Menschen treten nicht mit Cyberhelmen und digitalen Handschuhen bewaffnet in ein Paralleluniversum des zweiten Lebens ein. Wir sind, wo wir auch sind, im Netz.
Stattdessen also Augmented Reality? Alternate Reality Games gibt es bereits, und das allgegenwaertige Netz koennte sogar das bislang doch eher arg nerdige LARP einer breiten Masse zugaenglich machen. Aber E-Mail war schliesslich auch mal nur etwas fuer Nerds.
Abschliessend: Nochmal eine ausdrueckliche Leseempfehlung fuer den FAZ-Artikel, und das Video einer ganz anderen Zukunftsvision, erdacht vor ueber 51 Jahren in den Disney-Studios, ueber die Highways der Zukunft:
Okay okay, das mit den Turbinenautos hat ebensowenig stattgefunden wie die Erfindung des Massen-Atomautos, und die Idee einer vollkommen zersiedelten Landschaft ist im ersten Moment fuer uns eher erschreckend.
Mich erstaunt aber doch, wie viele der aufgezeigten Ideen heutzutage tatsaechlich Alltag sind, wenngleich eben in ganz anderer Form, als man sich das damals vorstellen konnte. Und wer den Schluss uebermaessig pathetisch findet, der substituiere gedanklich einfach mal „Highway“ durch „Information Highway“ und schaue sich das nochmal an. Aha-Moment garantiert.
PS: Bin ich der einzige, dem das Gesamtdesign des Films so ueberragend gut gefaellt? Allein schon die Architektur des Einkaufszentrums… ich liebe diesen Stil!
Ich mag das Design auch, aber ich bin auch altmodisch 🙂