T2, Technische Hilfeleistung, mittel

Ich hasse Gaffer.

Die Sache mit dem absichtlichen Geisterfahrer auf der BAB7 duerfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Wir wurden dazugerufen, weil zunaechst nicht klar war, auf welcher Fahrspur und in welcher Fahrtrichtung das Ganze passiert ist — die Verwirrung angesichts des Falschfahrers tat wohl ihr uebriges — so dass letztendlich die zustaendigen Feuerwehren aus beiden Fahrtrichtungen an der Einsatzstelle eintrafen, was im Nachhinein angesichts der noetigen Materialschlacht auch kein Fehler war.

Als dann irgendwann herauskam, dass der Unfallverursacher offenbar mit suizidaler Absicht in den Gegenverkehr gefahren war, gab das hochgezogene Augenbrauen bei den Einsatzkraeften. Erst zwei Tage vorher waren wir zu dem gerufen worden, was die Eisenbahner „Fremdberuehrung“ nennen und was bei der Feuerwehr — genau wie der Unfall auf der A7 — unter T2, Technische Hilfeleistung, mittel faellt. Zwei Suizide innerhalb von 48 Stunden, die auch dementsprechend aussehen, das nimmt auch erfahrene Einsatzkraefte mit.

Gaffer dagegen scheinen sich zu freuen.

Der gemeine Gaffer horcht auf, wenn er irgendwo Blaulicht sieht. „Da muss was passiert sein, schauen wir mal“. Eigentlich kann ich einem das gar nicht veruebeln, ich war auch mal so. Auch im Einsatz. Man will ja schliesslich sehen, weswegen man eigentlich gerufen wurde. Und irgendwann kommt dann bei vielen so ein Einsatz, nach dem man sich zukuenftig in dieser Hinsicht eher ein wenig zurueckhaelt. Gab’s auch bei mir.

Seither schaue ich mir nur noch an, was ich auch unbedingt sehen muss, um meinen Job zu machen. Wenn man einen konkreten Auftrag hat, ist das sowieso am besten, dann ist ein Patient ein Patient, und man denkt neben der Arbeit nicht viel drueber nach. Wenn man gerade nichts zu tun hat, schaut man sich dann am besten nach einer Arbeit um, und ansonsten ist es kein Fehler, dem Geschehen vorne einfach mal den Ruecken zuzudrehen und Gaffer abzuwimmeln. Bei Bahnsuiziden kommen sie „zufaellig“ spazieren, auf der Autobahn sitzen sie in ihren Autos und schauen mit offenen Augen und Muendern durch die Seitenscheibe, anstatt zuegig an der Engstelle vorbeizufahren. Einer hatte heute den Nerv, beinahe bis zum Stillstand abzubremsen und seine Digitalkamera aus dem Fahrerfenster hochzuhalten, um einen Schnappschuss mitzunehmen.

So etwas nervt mich tierisch. Aber die Gefahr, dass mich das irgendwann in den kommenden Tagen am Einschlafen hindert, ist dann doch deutlich geringer, als wenn ich mich umdrehen und dieses Bild auf mich wirken lassen wuerde, dass sich einem bietet. Wenn man in der Situation naemlich gerade nichts zu tun hat — so wie das ist, wenn man wartet, bis der Kriminaldauerdienst seine Arbeit abgeschlossen hat — kommt man ins Gruebeln. Wer das war, warum er das getan hat, und wie das wohl die Angehoerigen aufnehmen? …Nein.

Deswegen gibt es bei schweren Einsaetzen die Witzchen, die fuer einen Aussenstehenden furchtbar brutal klingen muessen. Und deswegen machen wir auch „das“ weg, und nicht „den“, ob das Anke Groener und Lars Reineke nun passt oder nicht. Natuerlich sind das Menschen, denen es furchtbar ging, und die voller Verzweiflung den vermeintlich letzten Ausweg waehlten. Wenn ich aber so tue, als seien sie’s nicht, wenn ich mich darueber aergere, warum sie „nicht ein bisschen ruecksichtsvoller sterben konnten“, geht’s wenigstens mir ein wenig besser. Kein Mensch, nur eine T2, Technische Hilfeleistung, mittel.

Ankes „Fresse, Idiotenbande.“ leite ich dann gerne an diejenigen weiter, die mir unterstellen, dass ich das doch abkoennen muesse, wenn ich den Job schon mache. Ich kann gerne mit ihnen tauschen. Oder mit den Gaffern.

Nachtrag: Link hinzugefuegt, sonst versteht in einem Jahr keiner mehr, worum es ging.

2 Gedanken zu „T2, Technische Hilfeleistung, mittel

  1. Anke

    Mir ging es bei dem „Fresse“-Genörgel eher um die Leute, die so tun, als wäre Selbstmord ein feiger Ausweg für Weicheier, denen man nur mal gehörig die Meinung sagen müsste, dann würden sie ihren Arsch schon wieder hochkriegen. Altes, preußisches „Männer weinen nicht“-Gesabbel eben.

    Dass die Einsatzkräfte vor Ort aus einem „den“ ein „das“ machen, um mit der Situation klarzukommen – darüber habe ich noch nie nachgedacht. Musste ich netterweise noch nie, und ich hoffe, ich muss das auch nicht. Ich habe einen Heidenrespekt vor Leuten, die so einen Job machen, ich könnte das nicht. Insofern halte ich jetzt mal die Fresse. (Kritik ist also angekommen 🙂

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    1. stk Beitragsautor

      Dann habe ich den Grundtenor deines Artikels missverstanden — vermutlich, weil ich zunaechst den von Lars gelesen hatte, in dem er sich ueber die Witzemacher und Kopfschuettler ausliess. Ich gebe dir voll und ganz recht, was die Bewertung eines Suizids und die Notwendigkeit professioneller Betreuung an sich angeht. Hier im Landkreis gibt es seit vielen Jahren einen „Notfallseelsorgedienst Rettungsdienst und Feuerwehr“, und es hat in manchen Wehren anscheinend schon eine Weile gedauert, bis man zur Einsicht kam, dass der ausdruecklich auch fuer belastete Einsatzkraefte vorgesehen ist (wobei das bei uns meines Wissens nie ein Problem war.)

      Ich habe wahrscheinlich auch nicht so richtig ausdruecken koennen, worauf ich hinauswollte, naemlich dass ich all diese Sachen, die es im Nachspiel von Enkes Tod gab, fuer relativ typisch halte. Die Witzchen, die an Einsatzstellen gerissen werden, stehen manchmal in ihrer Rohheit den Auswuechsen von Krautchan kaum nach, und ebenso ist das mit dem vorwurfsvollen „warum kann der sich nicht erhaengen?“. Der Unterschied ist halt, dass wir das in der Regel fuer uns behalten, und der vernetzte Twitterer das ins Netz posaunt. Naja.

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