Archiv für den Monat: Oktober 2009

Ein gar nicht mal so neuer Zeitgeist

“Einer neuen Zeitgeisterscheinung” ausgesetzt fuehlt sich mein Wahlkreisdirektmandat Dr. Georg Nuesslein (CSU), wenn bei ihm, koordiniert ueber das Internet, Buerger anrufen und ihm Fragen zur Atompolitik der kommenden schwarz-gelben Regierung stellen — soweit ich weiss, eine Aktion von campact. “Besonders lustig” finde er das nicht, was die Augsburger Allgemeine im dazugehoerigen Artikel als “Attacken” bezeichnet.

Lustig ist das Ganze auch nicht gemeint, und ein allzu neuer Zeitgeist ist damit auch nicht verbunden, wenn der Buerger auch ausserhalb von Wahlen Fragen und Anliegen an seine gewaehlten Vertreter richtet, ganz im Gegenteil: Er will als Gespraechspartner ernst genommen werden. Die Zeiten, in denen Kommunikation nur als Broadcast von oben nach unten funktionierte, sind vorbei. Ganz genau so sieht aber die Kommunikationsstrategie von Herrn Nuesslein aus: Einige Perlen seiner rhetorischen Kunst (dieses elegante Linkenbashing!) bei youtube, ein wenig genutztes Profil bei Facebook, und das war es dann auch schon. Da ist es nur konsequent, dass sich Nuesslein jeglicher offener, transparenter Beantwortung von Fragen bei abgeordnetenwatch.de mit halbseidener Begruendung verweigert.

Wenn wir also von “Zeitgeist” sprechen, dann bitte vom veralteten Zeitgeist des Dr. Georg Nuesslein.

Fotografen sind die letzten Loser

Was habe ich eben gelacht. Beim Backup-ziehen ist mir der Vortrag von Dietmar Henneka auf der Typo Berlin 1999 in die Haende gefallen, und ich musste mir gleich noch einmal ansehen, wie Henneka ohne ersichtlichen roten Faden, aber mit ebensoviel Wut wie Verve ueber Art Directors, die deutsche Fotografenlandschaft, die deutsche Werbelandschaft und sich selber zu Felde zieht. Ich sage nur so viel, gran-di-os.

Da werden wilde Abweichungen vom Originalthema genommen, die aber allesamt amuesieren: Die immergleiche Automobilwerbung, in der einfach nur “Autos von Aschloch nach Bschloch fahren”, oder die Praxis der Auftragsvergabe in der Kreativwirtschaft — Freitags Mappen von 12 Fotografen anfordern, und Montags liegen sie alle im Postfach, “300 Mark teuer und 50 Kilo schwer, die muss ja soooo Muckis haben”. Und wenn er erzaehlt, wie er dem Art Director ganz ohne Polaroid gezeigt hat, wie so ein Bildausschnitt aussieht, breche ich jedes Mal vor Lachen beinahe zusammen.

53 Minuten Unterhaltung also, die bei aller Polemik (”die alte Sau!”) und blumiger Sprache mehr als nur ein Fuenkchen Wahrheit enthalten — der Fotograf ist heute zumindest in der Werbung und teils auch im Editorial meistens nur noch Werkzeug, der das abzubilden hat, was der AD fuer toll haelt. Und im Zweifelsfall nimmt man heute eben Photoshop (”Hatten wir frueher nicht! Pappedeckelshop vielleicht”!)

Von seinem (aehnlich tobenden) Vortrag von der Typo 2008 gibt es leider keine Videoaufzeichnung, aber einen kleinen Bericht bei Slanted.

Raus aus dem Trott

Gerade habe ich eine laengere (Massen-)E-Mail von einem ehemaligen Kollegen bekommen. Der ist ein bisschen aelter als ich, hatte ein abgeschlossenes BA-Studium hinter sich, entschied sich aber gegen eine Weiterarbeit in dem Beruf. Ob das nun wegen der Uebernahme, des Berufs an sich oder der Mondfeuchtigkeit geschah, ist mir eigentlich relativ egal, jedenfalls wollte er sich neu orientieren.

Was macht man also als gestandener Banker, wenn man sich ein wenig umorientieren moechte? Genau. Man heuert in einem Grand Hotel a — wtf, in einem Grand Hotel?

Ganz genau so dachten viele, als er das zum ersten Mal erzaehlt hat. Mittlerweile ist er dort seit ueber einem Jahr und macht eine zweite Ausbildung zum Systemgastronom oder sowas (nein, Hotelmanagement irgendwie). Und nach wie vor gibt es Leute in unserem gemeinsamen Bekanntenkreis, die vielleicht nicht unbedingt mit dem Kopf schuetteln, aber sich schon laut fragen, “warum man so etwas macht”. Dabei ist die Antwort ganz einfach: Weil man es kann.

Wir fahren doch nicht auf Schienen. Alle paar hundert Meter kommt eine Kreuzung, an der man sich fuer den einen oder anderen Weg entscheiden kann, mit manchmal kleineren, manchmal groesseren Konsequenzen. Und eigentlich kann man auch jederzeit einmal wild querfeldein rennen, um etwas neues zu sehen. Klar, das kann matschig werden, und vielleicht auch gefaehrlich. Aber vielleicht kommt man so auch auf einen Weg, den man sonst nie gefunden haette. Und vielleicht ist der wirklich hundertmal toller, als der so offensichtlich wirkende Weg, den man verlassen hatte. Den regelmaessig eintrudelnden Mails nach zu schliessen scheint das bei dem Kollegen der Fall zu sein.

Deswegen an dieser Stelle ganz offen: Niemand muss sagen, er wuenschte, er koenne so etwas auch tun. Jeder kann das. Man muss sich nur trauen. Und Manu, jede Menge Respekt dafuer, dass Du die Eier hattest, das tatsaechlich zu tun.

(Bild verwandt. Von hier.)

“Ueber Macht” in Ulm

Eher unscheinbar wurde der Ulmer Ableger der Filmfestival-Reihe “Ueber Macht” beworben. Waeren nicht die ausliegenden Programmhefte an der Uni gewesen, haette ich gar nichts davon mitbekommen — Team-Ulm bekam keine Pressemitteilung, und auch in den sonstigen einschlaegigen Kanaelen habe ich rein gar nichts davon mitbekommen.

Schade eigentlich, denn das Programm kann sich sehen lassen. Initiiert von dieGesellschafter.de (einer Initiative der Aktion Mensch) geht es ueber eineinhalb Wochen hinweg ueber… ja, Macht, in verschiedensten Formen, ihre Kontrolle und Selbstbestimmung. Meine persoenlichen Wunschtermine habe ich mir schon herausgepickt:

Vielleicht sieht man sich ja ;)

[1] RCRF ist beim AK Vorrat und den FSA-Organisatoren umstritten. Hintergrundinfos am besten selber ergoogeln, ich kann nicht beurteilen, wie voreingenommen die Darstellung auf netzpolitik.org ist.

HD aus der Hosentasche

Gestern war wieder Poetry Slam, und natuerlich waren Micha und ich wieder am Start, um das ganze auch aufzuzeichnen. Bislang haben wir das ganze mit einer 5d Mark II (in HD) und einer XM 2 (in SD) aufgenommen, der Ton kommt vom Line-Ausgang des Mischpults direkt in den Zoom H2.

Die XM2 hat mich schon eine ganze Weile gestoert. Erstens kann sie nur SD, zweitens zeichnet sie auf miniDV auf (das Ueberspielen uebernimmt zum Glueck Michael Sommer vom Theater Ulm) und drittens bringt sie einige Kilogramm auf die Waage und mir tut hinterher der Arm weh. Meh.

Micha hatte gestern nun seine kleine Panasonic TZ7 mitgebracht, und ich kann nur sagen, Scheisse, ist das ein geiles Teil! 720p-Videos koennen wahlweise als MJPEG oder AVCHD gespeichert werden, die Audiospur des Stereomikrofons klingt ueberraschend gut und auch Zoomen und Nachfokussieren ist waehrend der Aufnahme problemlos moeglich. Und das bei einem Preis von knapp 280 EUR fuer eine Hosentaschenkamera.

Ich bin mal gespannt, wie sich AVCHD auf den Workflow beim Schneiden auswirkt, und auch auf das Endergebnis. Da ich nur das Finale mit der TZ7 gefilmt habe (und komisch angesehen wurde, als ich den Henkelmann gegen eine P&S getauscht habe), wird nur ein einzelnes Video durchgehend in HD sein — der Rest lohnt sich jedoch auch, es war ein tolles Lineup am Start ;)

//edit: Hier mal ein Video, das den Zoomumfang der TZ7 verdeutlicht:

Befreit die Daten!

Ich habe mich schon vor zwei Jahren sehr ueber die Stadtwerke Ulm (SWU) aufgeregt, und gerade war mir danach, es wieder zu tun. Und zwar aus demselben Grund.

Von 2001 bis 2004 haben die SWU naemlich an einem Foerderprojekt des BMWI namens “RUDY” teilgenommen. Ich kann mich noch gut an die Busbeklebung zu RUDY erinnern, und dass ich keine Ahnung hatte, was das sollte. Irgendwie lief es wohl auf die MobilSAM-Sammeltaxen hinaus, die abends in den Vororten die Busse ersetzen, die man aber vorbestellen muss und die nach 2000 Uhr 50 Cent extra kosten, auch wenn man schon eine Fahrkarte hat. Eine Sammeltaxe habe ich vor ein paar Wochen zum ersten Mal benutzt, und so schnell werde ich das wohl auch nicht mehr tun, weil ich wegen der 50 Cent eingeschnappt war, von denen am Telefon niemand etwas gesagt hatte. (Manchmal bin ich nachtragend.)

Eine herausragende RUDY-Innovation ist aber wirklich toll,  naemlich die Fahrgastinformationssysteme, die an mittlerweile ziemlich vielen oft bedienten Haltestellen anzufinden sind, und die einem verraten, wann der naechste Bus oder die naechste Tram kommt. Und zur WM und EM kamen abends auch immer die Fussballergebnisse in einem Ticker ganz unten.

Jetzt bringt einem diese Anzeige nur etwas, wenn man tatsaechlich an der Haltestelle steht. Vorausgesetzt, die Haltestelle hat so eine Anzeige. Alternativ gab es ein furchtbares AJAX-Applet auf der SWU-Verkehr-Website, mit dem man durch lediglich 25 Mausklicks die GPS-gestuetzten Live-Abfahrtzeiten genau einer Linie an genau einer Haltestelle anzeigen lassen konnte. Imperfekt, wohlgemerkt, denn dieses Dings gibt es nicht mehr nur noch ueber Umwege bei ding.eu, mittlerweile offenbar sogar fuer mehrere Linien. Es gibt aber nach wie vor keine einzige Moeglichkeit, diese Daten irgendwie offiziell extern auszuwerten, obwohl die Moeglichkeiten so vielfaeltig waeren. Ein Browserplugin beispielsweise, das mir an der Uni die Abfahrtzeiten der Linie 3 anzeigt, und mich bei Bedarf fuenf Minuten vorher auf den naechsten Bus Richtung Mitte aufmerksam macht. Eine Mobilapplikation, die mir GPS-gestuetzt die naechste Haltestelle mit allen Daten anzeigt, oder meine “Lieblingshaltestellen”. Oder einfach die Emulation der FIS-Anzeigen einer bestimmten Haltestelle in der Naehe, die man dann auf einem Bildschirm in der Lobby eines Buerogebaeudes oder in der Uni-Cafete anzeigt.

Die SWU muessten dazu nichts selber entwickeln. Sie muessten nur eine Schnittstelle anbieten, ueber die man auf die Livedaten zugreifen kann, und dann die Schwarmintelligenz arbeiten lassen. Das wollen die SWU aber nicht. Betriebsdaten stelle man Dritten grundsaetzlich nicht zur Verfuegung, hiess es schon 2007. Stattdessen moege man doch einfach die Fahrplaene bemuehen, oder die Fahrplanauskunft des Handyticket.

Ich halte das fuer eine bodenlose Arroganz und Frechheit. RUDY wurde vom BMWI mit ueber 3,6 Millionen EUR aus oeffentlichen Mitteln gefoerdert. Und nur, weil man den Kunden zur Nutzung des eigenen Produkts “Handyticket” zwingen will, weigert man sich, die vorhandenen Echtzeitdaten so aufzubereiten, dass man daraus etwas basteln kann. Das darf nicht sein.

Ich habe heute wieder ein wenig recherchiert, ob es irgendein bundesweites Buendnis zur Befreiung von Daten und Einrichtung von APIs gibt. Bislang bin ich nicht fuendig geworden. Aber irgendwie wurde heute der Querulant in mir wieder geweckt und ich habe beschlossen, gegenueber den SWU und der Stadt Ulm mal so eine richtige Nervensaege zu sein, bis ich eine zufriedenstellende Antwort habe. Wer sich anschliessen moechte, melde sich in den Kommentaren.