Mittags fand ich es noch amuesant, dass ausgerechnet eine Datenschutzdemo die wohl bestdokumentierte Demonstration aller Zeiten werden duerfte. Auf dem Heimweg vom Potsdamer Platz nach Kreuzberg las ich dann auf Twitter, wie sich ein Video von einer Festnahme verbreitete, die ich selbst gesehen hatte. Und irgendwie habe ich das Gefuehl, dass das Demonstrationen und vor allem die Polizeiarbeit dort nachhaltig veraendern koennte. Aber von Anfang an.
Gestern morgen fuhr ich im vollbesetzten Kleinbus von Ulm nach Berlin, um an der „Freiheit statt Angst“ teilzunehmen. Auf der Hinfahrt bekam ich dann eher zufaellig mit, dass meine Anfrage von letzter Woche, ob noch Helfer gebraucht werden, als Freiwilligmeldung interpretiert und ich als Helfer im Wiki eingetragen worden war. Also schon wieder ein demobezogenes „first“ dieses Jahr.
Der Job war anfangs furchtbar unspektakulaer: Als einfacher Demoteilnehmer mitlaufen, versuchen die Teilnehmer zu zaehlen und die Ordner zu bestellen, falls sich irgendwo Aerger zusammenbrauen sollte. Den gab es aber nun wirklich nicht, selbst die Antifas waren ungewohnt unprovokativ und machten soweit ich das ueberblicken kann ueberhaupt keinen Aerger, so dass ich auch eine ganze Weile lang vom Holocaust-Stelenfeld aus in Ruhe zaehlen und die Waegen ansehen konnte.
Spektakulaerer wurde das ganze dann, als eine ganze Gruppe Demoteilnehmer zurueck am Potsdamer Platz den groessten dortigen Grunflaechenhuegel „eingenommen“ hat. Dieser Huegel ist anscheinend polizeitaktisch von so entscheidender Bedeutung, dass er mit gleich mehreren behelmten Polizeihundertschaften verteidigt werden musste, was die besetzende Fraktion natuerlich nur umso mehr sportlich herausgefordert hat (hier mit Bildern). Bis dahin also die ueblichen Spielchen, wie man sie von beinahe jeder Demo kennt, und ich war gerade im Gehen begriffen, als sich nur ein paar Schritte von mir entfernt die „unschoenen Szenen“ abspielten, wie sie anderswo genannt wurden. Und ich bin nach wie vor beeindruckt, was danach passierte. Schon bei den ersten Festnahmen klickten staendig die Kameras und wurde gefilmt, sobald sich Polizei und Teilnehmer nahe kamen – und zwar dieses Mal mit deutlicher „Waffenueberlegenheit“ der einfachen Buerger gegenueber den BFE-Trupps. Und auch jetzt wurde staendig draufgehalten, Namen der Festgenommenen zugerufen und der Ermittlungsausschuss informiert. Wie so oft waren die Zuschauer sichtlich verstoert (einer zitterte am ganzen Koerper, ein anderer schimpfte mindestens eine halbe Stunde lang, was das fuer eine Sauerei sei), aber sofort wurde die Kontaktadresse des AK Vorrat verbreitet, Zeugen meldeten sich am Koordinationszelt, und das HD-Video der brutalsten der Festnahmen machte ja bekanntermassen in rasender Geschwindigkeit die Runde im Netz.
So widerspruechlich es anmuten mag: Ich sehe hier eine gewaltige Chance fuer eine, sagen wir mal, „transparentere“ Nachbereitung derartiger Vorfaelle auf Demonstrationen. Es ist ja keineswegs so, dass Gewalt seitens der Polizei bei Demonstrationen jetzt eine besondere Ausnahme sei — das war wohl nur fuer die vielen “buergerlichen” Demoteilnehmer nun ein wenig erschreckend, das einmal zu erleben. Die „Beweissicherung“ ist jetzt aber nicht mehr nur in der Hand einer einzigen Seite, die bisweilen unter Verdacht steht, das gemachte Bild- und Filmmaterial recht voreingenommen auszuwerten und sich im Gegenzug unter Kollegen nicht gegenseitig belasten zu wollen. Stattdessen ist jeder Teilnehmer auch ein potenzieller Zeuge, und zwar nicht nur mit Gedaechtnisprotokollen, sondern unter Umstaenden auch mit Fotos oder Videos – gemacht mit der Hosentaschenkamera oder dem Handy, ins Netz gestellt und verbreitet.
Die Polizei wird sich vermutlich auch darauf einstellen. Es ist ja jetzt schon sehr beliebt, die Loeschung von Bildern fotografierter Polizisten unter Androhung der Beschlagnahme der Kamera zu verlangen, auch gestern passierte das wieder, und das wird nicht weniger werden. Ein Bild oder Video einer illegalen Polizeiaktion ist eben nur dann etwas wert, wenn man es auch aus der Demonstration heraus und verbreitet bekommt. Man wird sich auch weiterhin gegen die Einfuehrung einer Identifikationskennzeichnung fuer Polizisten wehren und zukuenftig wohl noch seltener ohne Helm auftreten, um nicht so einfach zu identifizieren sein. Aber auch hier wird sich etwas finden – Direktuebertragung der Bilder per UMTS oder angepasste Kamerafirmwares, die Bilder zwar augenscheinlich loeschen, in Wirklichkeit aber nur verstecken, beispielsweise. Schauen wir mal, wie sich das entwickelt.
Ich fuer meinen Teil bin gestern offensichtlich auch mal wieder auf diversen BFE-Videoaufzeichnungen gelandet, und dieses Mal kann ich mich nicht damit herausreden, nur journalistisch unterwegs gewesen zu sein. Aber manche Ziele und Anliegen sind eben doch noch wichtig genug, das in Kauf zu nehmen.
Abschliessend: Ich muss an dieser Stelle auch den Kritikern Recht geben, die sowohl den zunehmenden Love-Parade-Charakter als auch die Parteifarbigkeit (linksrot, gruen, gelb, orange) der fsa09 kritisiert haben. Es ist zwar respektabel, wenn allein mehrere tausend Leute im Piratenblock mitmarschieren – im Gegensatz zu Transpis und Bannern besticht eine Sammlung von 200 Piratenparteiflaggen jetzt aber nicht unbedingt durch knackige Sprueche oder intelligente Einfaelle. Das ist schade und frustrierend – ein wenig mehr Farbe, ein wenig mehr nette Sprechchoere und ein wenig mehr Vielfalt waeren schoener gewesen als einfach nur schafherdenartig hinter dem Partytruck trottende Fahnenschwenker. Und ein wenig mehr Teilnehmer haettens auch sein duerfen. Ein Grund mehr, warum ich zu Parteien allgemein und den Piraten speziell bei aller Sympathie und Unterstuetzung weiter ein wenig gesunde Distanz aufrechterhalte.
Zu der Sache mit der UMTS-Direktuebertragung hatte ich schon seit dem UMTS-Versuch bei der Demo am 1. Mai eine kleine Ideensammlung in der Schublade, die ich eben wieder ausgepackt habe und daran weiterschreibe. Mehr in Kuerze hier.
(Worte angepasst, die ich einige Jahre spaeter nicht mehr verwenden wuerde. Witzig auch, dass ich in so vielen Texten aus der Zeit Stress bei „den Antifas“ verorten wuerde)