Dann lieber gar keine Kommentare

Eine Demonstration zu organisieren, ist nicht einfach. Eine Demonstration an der Uni Ulm zu organisieren, schier unmoeglich und auch frustrierend: Die Haelfte der Studenten sind Mediziner, und die haben traditionell wenig Zeit oder Lust, fuer oder gegen irgendetwas aktiv zu werden — man muss ja schliesslich viel Fleissarbeit verrichten, wenn man im sechsten Semester nebenher promovieren will. Kein Wunder, dass die meisten ehemaligen Demo-Orgs mittlerweile etwas frustriert sind und so etwas nur ungern noch einmal in die Hand nehmen moechten.

Bissige Kommentare zu schreiben ist hingegen sehr einfach. Als Student kann man sich einfach berieseln lassen, und wenn dann irgendwelche Mails kommen, schickt man einfach boese Repliken zurueck, wie unorganisiert und grundsaetzlich schlecht die ganze Aktion ist (uebrigens hauptsaechlich von Leuten, die sich noch nie selbst irgendwo eingebracht haben. Das scheint eine Gesetzmaessigkeit zu sein). Als Journalist hat man es noch einfacher: Man sitzt in seinem Elfenbeinturm, versucht taegliche Geschehnisse in sein Weltbild zu integrieren und schreibt dann hauptsaechlich ueber Dinge Artikel, von denen man fachlich nur wenig Ahnung hat.

Anders kann ich mir den Kommentar „Dann lieber gar keinen Streik“ in der SWP nicht erklaeren. Schon im ersten Absatz hat man sich offenbar keine grossen Gedanken gemacht, die Hintergruende der Verspaetung in Erfahrung zu bringen, ueber die ich ja schon hier gebloggt hatte.

„Brav: Klausuren und Abi-Vorbereitung gingen vor.“ heisst es dort. Die Realitaet sah anders aus: In der StuVe hatte sich keiner verantwortlich fuer eine Ulmer Beteiligung am bundesweiten Bildungsstreik gezeigt. Bene war davon entsetzt, hat alle Hebel in Bewegung gesetzt und wollte gemeinsam mit Schuelern und Studenten doch noch etwas in Ulm auf die Beine stellen.

Alleine die Schueler kamen nicht. Lediglich Sprecher des Anna-Essinger-Gymnasiums und des TG waren mit Feuereifer dabei, den restlichen Schuelervertretungen schien die ganze Angelegenheit — mit Verlaub — am Arsch vorbeizugehen. Sehr aufschlussreich war hierbei ein Treffen am Kepler-Gymnasium, wo sich ein Kepler-Sprecher (und immerhin der Verbindungslehrer) interessiert zeigte, die zwei anderen Kepler-Sprecherinnen schienen das nicht fuer ihre Angelegenheit zu halten. Andere Schuelervertretungen waren gar nicht erst zu einem Treffen zu bekommen.

Also wurde — hauptsaechlich auf mein Draengen — die Reissleine gezogen, um das ganze einen Monat spaeter ordentlich aufziehen zu koennen. Das war wohl ein Fehler, denn alleine schon die Berichte der Aktionen aus anderen Staedten haetten wohl sicher den einen oder anderen mobilisiert. Aber gut.

Das Ende vom Lied waren nun rund 70 Demonstranten, davon etwa 20 Schueler. Und das noetigt den SWP-Kommentatoren zu folgender Aussage:

Der „Ulmer Bildungsstreik“ lässt deshalb nur vier Schlüsse zu. Entweder die Jugend interessiert sich kein bisschen für Bildungspolitik; oder sie besteht überwiegend aus angepassten Strebern; oder sie ist mit dem gegenwärtigen Bildungssystem vollauf zufrieden; oder sie hat schon resigniert. Alle Varianten sind gleichermaßen trostlos.

Wenn man nun den Elfenbeinturm verlaesst und sich die Realitaet ansieht, hat das noch andere Gruende. So weiss ich von Schulleitungen, die jegliche aktive Werbung fuer diese Demonstration untersagt hatten. Von einigen Schuelern hatte ich auch gehoert, dass das Fernbleiben vom Unterricht (trotz beendeter Schulpflicht) nicht gestattet werden wuerde. Und nicht zuletzt scheinen nur wenige Schueler auch nur ansatzweise politisiert zu sein — vielleicht schwingt da Resignation mit, ich weiss es nicht.

Dass die Pruefungsphase fuer die Schueler nun vorbei ist, ist ebenfalls zweischneidig. Das heisst naemlich auch, dass die 13er nicht mehr greifbar sind, entweder schon den Pflichtdienst beginnen oder irgendwo jobben. Zudem bedeutet das Semesterende auch den Beginn der Pruefungsphase fuer die Bachelor, diejenigen also, die die ganze Angelegenheit mit am meisten betrifft, und die am meisten zu leiden haben — und die sich aus genau diesen Gruenden ueberlegen muessen, ob sie nun an Podiumsdiskussionen teilnehmen, oder sich den Pruefungsstoff ins Hirn quetschen, um eine Pruefung nach der anderen zu schreiben und hoffentlich die Punktegrenze erreichen, um weiter studieren zu koennen.

Der Bildungsstreik 2009 in Ulm war ein Anfang, nachdem die Studierenden jahrelang nichts von sich hoeren lassen hatten. Die ersten Demonstrationen sind quasi immer die am schlechtesten besuchten, das duerfte eigentlich jeder wissen, und in diesem Fall gab es in der Tat auch viele gute Gruende fuer die schlechte Resonanz. Aber die haetten halt nicht in einen aetzenden Kurzkommentar gepasst.

„Dann lieber gar keine Kommentare“ scheint man indes auch bei der SWP zu glauben: Gestern abend gab es acht Kommentare von zwei Kommentatoren, die sich inhaltlich mit dem Artikel auseinandersetzten. Diese wurden mittlerweile kommentarlos geloescht. Einen Vergleich zu vorher habe ich von Simon L als PDF bekommen, danke.

PS: Die vielen Maekler sind aufgerufen, sich gerne beim naechsten Mal zu beteiligen. Und das ist kein Sarkasmus, sondern ernst gemeint. Fuenf erfahrene Helfer mehr haetten viel bewirkt.

4 Gedanken zu „Dann lieber gar keine Kommentare

  1. Streikbrecher

    Dass die SWP Kommentare löscht, auch meine eigenen, ja, ich bin der, der die ersten Kommentare hinterlassen hat, erzürnt mich mindestens genauso wie auch dich. Es zeigt, dass die SWP nicht mit Kritik umgehen kann. Genauso müssen aber auch die Organisatoren des Streiks die Kritik ertragen. Dass keiner (etwas überspitzt) teilnahm, lag sicher nicht an Desinteresse sondern vielmehr an der AK Bildungsstreik selbst (zumindest an der Uni). Die Forderungen waren unausgereift, dämlich und inakzeptabel. Die Organisation dilettantisch. Dass dieser hauptsächlich von der Linken unterstützt wurde, ist noch ein Grund, warum viele fernblieben. Zu behaupten, dass vor allem diejenigen, die sich sonst an der Uni nicht engagieren („uebrigens hauptsaechlich von Leuten, die sich noch nie selbst irgendwo eingebracht haben.“) fern blieben, ist Quatsch. Es sind gerade diejenigen, die sich wirklich engagieren und nicht nur dasitzen und irgendwelche Parolen auf Plakate schreiben, die die Aktion kritisierten (ob in Studienkommission, Fakultätsrat oder sonstwo).

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  2. stk Beitragsautor

    @Streikbrecher, in aller Kuerze (Netz unterwegs):

    – Die Forderungen waren quasi identisch zu denen des bundesweiten Bildungsstreiks, an denen man sich orientieren wollte. Die wurden sogar noch „entschaerft“

    – Ja, die Organisation war zwangslaeufig dilettantisch, schliesslich war kein Demoerfahrener Org bereit, mitzuwirken, und das wurde komplett von Demo-Organisations-Neulingen gestemmt.

    – Ohne die Unterstuetzung von so.lid waere das vermutlich noch schlimmer gewesen. Wobei mich sowohl die Parolen als auch die Antifa-Flagge mindestens irritiert haben.

    – Ich bezog mich nicht auf die Fernbleiber, die sich wenig einbringen, sondern ueber die Meckerer, die geharnischte Antworten auf den Aufruf zurueckschickten. Das war teilweise sehr hart zu schlucken.

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  3. gnu

    @Streikbrecher:

    Etwas präziser bitte. Welche Forderungen waren denn bitte „unausgereift, dämlich und inakzeptabel“? Ich habe die Forderungen gelesen und mir ist diesbezüglich nichts aufgefallen.

    @stk:

    Jaja, die Parolen. Ein Klassiker auf solchen Demos ist ja „One Solution – Revolution!“ (von der Jugendorganisation REVOLUTION, http://www.onesolutionrevolution.org bzw. http://www.revolution.de.com)

    Neulich hab ich mich mal damit beschäftigt. Da die gesamten Grundsatzforderungen viel zu lesen sind, hier mal deren Forderungen in kurz:

    * Der Kapitalismus muss auf revolutionärem Weg zerschlagen werden! Die Macht des Kapitals und der KapitalistInnen kann nur durch den Klassenkampf der ArbeiterInnen und anderer unterdrückten Klassen gebrochen werden!
    * Die ArbeiterInnen müssen die Produktionsmittel übernehmen und in gesellschaftliches Eigentum verwandeln!
    * Für eine demokratisch geplante Wirtschaft, welche sich nach den Bedürfnissen der Menschen richtet!
    * Eine klassenlose Gesellschaft muss aufgebaut werden – das Ziel heißt Kommunismus!
    * Für Selbstverteidigung der ArbeiterInnen und Jugend! Kein Vertrauen in die Polizei, die nur den Interessen der herrschenden Klasse dient!
    * Gleiche Rechte für Menschen jeden Alters! Volles Wahlrecht und volles Einkommen für Jugendliche!
    * Weg mit allen Gesetzen gegen Drogen, Vandalismus und Sexualität, die Jugendliche benachteiligen!
    * Für eine neue revolutionäre ArbeiterInneninternationale, eine Weltpartei der sozialistischen Revolution!
    * One solution: revolution!

    Also beim Lesen von deren Forderungen wird mir echt unwohl. Einige der Ziele mögen ja für manchen ehrenwert erscheinen, aber dafür ernsthaft eine Revolution vom Zaun brechen zu wollen? Ich glaube nicht dass man eine bessere Welt erreichen kann, wenn man vorher bereit ist über Leichen zu gehen.

    Vielleicht sollte ich mir mal Flyer machen, um die Leute zu informieren wofür sie „One Solution – Revolution“ brüllen. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass sie alle wissen was da für Forderungen im Hintergrund stehen.

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  4. stk Beitragsautor

    @gnu: Ja, unter anderem das meinte ich. Dazu noch hochgeistige Klassiker wie „CDU verbieten“ und einer stimmte noch „Der heimliche Aufmarsch“ an. Sowas befremdet mich dann schon, schrieb ich ja auch im vorhergehenden Artikel.

    Ich schieb das mal auf jugendliche Naivitaet.

    Und was Revolutionen angeht, finde ich Pratchetts Kommentar dazu immer noch am besten: „Don’t put your trust in revolutions. They always come around again. That’s why they’re called revolutions. People die, and nothing changes.“

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