Dag van Wijchen: Koerperliche Grenzen

Mittwoch, 22. Juli 2009: Der zweite Tag der Nijmeegse Vierdaagse ist traditionell der Tag mit der hoechsten Ausfallquote, und auch 2009 sind am Mittwoch 1.784 Laeufer nicht ins Ziel gekommen. Das liegt einerseits an der sehr undankbaren Strecke und andererseits an den Laeufern, die nach dem ersten Tag die Nase voll haben und morgens gar nicht erst wieder antreten.

Wir sind natuerlich m0rgens wieder dabei und haben uns auch vorgenommen, aus den Fehlern vom Vortag zu lernen. Wir wollen ein wenig das Tempo reduzieren, um unsere Kraefte zu schonen. Das ist gar nicht so leicht getan wie gesagt. Sobald die Militaergruppen dazustossen, muss ich mich sehr beherrschen, um nicht automatisch in deren Gleichschritt einzufallen, wenn sie mit Gesang an mir vorbeiziehen. Und noch etwas ist tueckisch: Immer wieder ueberholen mich morgens auf der eintoenigen Strecke durch das Gewerbegebiet Nijmegens kleine, zierliche Frauen. In Wahrheit handelt es sich bei diesen Frauen moeglicherweise um Uebermenschen. Frauen muessen naemlich eigentlich nur 40 Kilometer am Tag laufen, um das Viertageskreuz zu erhalten. Diese harmlos wirkenden Gestalten koennen demzufolge nur Laufmaschinen sein. Ach was, Kampfroboter. Also Kopf runter und innerlich eines der vielen englischen Marschlieder singen, die ich gestern gehoert habe („The enemy’s lying in his blood… in the morning…“). Christian moechte doch ein etwas schnelleres Tempo vorlegen, und so trennen wir uns schon an der ersten

Die Strecke geht mit furchtbar schlechter Zuschauerbeteiligung durch die Vororte Nijmegens nach Westen an die Maas und (alleine fuer die 50er) durch ein ausgestorben wirkendes Niftrik. Hier scheint der Hund begraben, mir tun die Oberschenkel weh, und ich habe bald schon keine Lust mehr — die heutige 50er-Extrastrecke raubt mir komplett die Motivation. Die kommt zum Glueck zumindest ansatzweise in Wijchen wieder, das im Gegensatz zu Niftrik vor Zuschauern nur so ueberquellt. Eine Niederlaenderin erklaert mir spaeter, dass die Niftriker alle nach Wijchen gehen, weil dort alle Marschrouten zusammen durch den Ort gehen. Das ergibt Sinn.

Meine Tags zuvor mit Blasenpflastern behandelten Fuesse melden sich mittlerweile wieder. Das klingt nun seltsam, aber ich habe Blasen an den Blasen. Waehrend des Laufens ist das nicht mal schlimm, aber nach jedem Neubeginn schmerzt das wie die Hoelle. Mittlerweile habe ich mehrere andere Laeufer in Adiletten und Holzschuhen(!) gesehen und frage mich ernsthaft, wie die das durchhalten.

nijmegen

Nijmegen will und will nicht naeherkommen. Wegen meiner Oberschenkelschmerzen mache ich nur noch ganz kurze Schritte und werde regelmaessig von anderen Laeufern angesprochen, ob es mir gut gehe. Ich nicke verbissen und laufe weiter. Um 1510 ist dann endlich auch diese Etappe vorbei, und angesichts meiner Hoellenblasen lasse ich diese erst einmal beim Roten Kreuz behandeln.

Waehrend der drei Stunden Wartezeit auf die Blasenbehandlung unterhalte ich mich mit einem Schotten, der den 4daagse schon einige Male mitgelaufen ist. Der beruhigt mich, als ich laut meine Befuerchtung aeussere, zu schlecht trainiert zu haben: „Nothing can prepare you for something like this.“ Er erklaert mir auch, dass meine Schmerzen von uebersaeuerten Sehnen herruehren und zeigt mir Dehnuebungen, die ich zukuenftig bei Pausen und am Abend nach der Dusche machen soll. Der naechste Tag werde auch deutlich abwechslungsreicher werden, beruhigt er mich, und am vierten Tag laufe ohnehin alles wie von selber. Hoffen wir das mal.

blasenpflaster

Das Blasenbehandlungszelt ist krass. Rund 75 Behandlungsliegen stehen bereit, auf denen die Laeufer ihre Blasen desinfiziert, punktiert, entleert und mit Leukoplast abgeklebt bekommen. Beim Anblick meiner Karwendsmaenner pfeift der Rot-Kreuz-Mann erst einmal anerkennend. Meine Blasenpflaster seien schon okay, die seien aber einem Event wie diesem hier nicht gewachsen. Ich nicke und grinse innerlich, weil der Pflasterhersteller den 4daagse sponsort und auch auf der Brust der Rodes-Kruis-Shirts aufgedruckt ist. Nach einer Stunde stechen, ausdruecken und kleben geht es mir gleich schon viel besser. Zurueck zur Unterkunft, dort Christian beruhigen, der sich angesichts meiner fuenf Stunden Verspaetung schon Sorgen gemacht hat, und angesichts der guten Tipps und der zu erwartenden schoenen Donnerstagsroute nach einer heissen Dusche zufrieden ins Bett.

Zum Glueck weiss ich noch nicht, was Donnerstag wirklich auf mich wartet.

(Der urspruengliche Text wurde 2009 von mir geschrieben. Ich habe einige Jahre spaeter Formulierungen entfernt, die ich heute so nicht mehr waehlen wuerde).

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