Shift happens. Elsewhere.

Langsam mache ich mir Sorgen, warum ich gerade von den Panels der re:publica so enttaeuscht bin, auf die ich mich ganz besonders gefreut hatte. Markus Huendgen alias der Videopunk wollte… ja, was eigentlich? Zeigen, dass Webvideos kein TV sind? Dass es keine „richtige“ Laenge fuer Webvideo gibt? Das haette man auch vorher schon gewusst.

Stattdessen zitierte er die kuehne These, dass jeder, der TV kenne, auch die „Spielregeln“ eines Videobeitrags kenne und demzufolge auch selbst einen produzieren koenne. Und zeigte in seinen Beispielen genau die Aspekte, die ich an den meisten Webvideos hasse: Jedes Mal 15 Sekunden Pre-Roll-Werbung vor dem Abspielen eines Clips. Und Videos, die vermutlich keiner im Saal fuer relevant hielt.

Die wirklich interessanten Aspekte waeren meines Erachtens zwei andere gewesen. Erstens ist es ganz sicher so, dass wir die „Spielregeln“ eines Filmbeitrags kennen. Deswegen reagieren wir auch empfindlich auf langweilige Dauereinstellungen, komische Schnitte und labernde Koepfe. Daraus kann man aber nicht zwangslaeufig schliessen, dass wir diese Regeln auch richtig in ein Video umsetzen koennen, zumindest nicht sofort. Das macht aber zweitens nichts, weil selbst grottige Videos tausendfach gesehen werden, wenn genau diese Kriterien erfuellt sind:

  • das abgebildete Ereignis ist hochaktuell
  • das Ereignis spielte sich in einem fuer den Zuschauer hochrelevanten Umfeld ab

Das Umfeld kann dabei sowohl raeumlich als auch thematisch gesehen werden, von der Grossdemo in der Heimatstadt bis hin zum umgestuerzten Mannschaftsbus des Lieblingsfussballclubs. So etwas klappt aber meines Erachtens nur in genau diesem Umfeld — wenn zwei Strassen weiter eine Fabrik hochgeht, bin ich auch bereit, Pre-Rolls und Kaugummieinstellungen zu ertragen. Bei einer aehnlich gemachten (zeitlosen) Reportage bin ich nach 30 Sekunden weg.

Es darf getwittert werden

Interessant war dagegen das Panel zu Journalismus und Twitter. Ich bin wohl nicht der einzige, der der Ansicht ist, dass viele Journalisten von oben den Auftrag erhalten haben, jetzt doch auch mal dieses Twitterdingens auszuprobieren, dann aber hauptsaechlich nur den eigenen Kollegen followen und sich anschliessend ueber die Irrelevanz des dort getwitterten auslassen.

Positiv ueberrascht hat mich dagegen ein Journalist aus Stuttgart, der  erzaehlte, nach Veroeffentlichung des Krautchan-Screenshots gezielt „das Twitter-Orakel“ nach Input befragt zu haben, wie er es nannte, und dadurch auf eine Master-Thesis ueber Krautchan stiess. Generell scheint die Akzeptanz von Twitter als Recherchetool zu steigen — wohl nicht zuletzt, weil die betreffenden Journalisten sich auch langsam die hierzu noetige Medienkompetenz aneignen.

Ahnungsloser Staat in der digitalen Gesellschaft

Ein illustres Bild: Ein ganzer Saal voller sich fuer Netzpolitik interessierende Buerger, zwei durchaus interessiert zuhoerende, gelegentlich mitschreibende, aber teilweise etwas unverstehend wirkende Herren vom Innenministerium, und eine ver.di-Funktionaerin, an deren Aussagen man erschreckend gut erkennen konnte, wie wenig sie von den wirklich heissen Eisen wusste und wie irrelevant Gewerkschaften in dieser Hinsicht offenbar sind. Ob im Innenministerium nun Word oder OpenOffice verwendet wird, ist mir dann doch deutlich weniger wichtig als Netzneutralitaet, Filter und moderne Urheberrechtsfragen. Und die Frage, wann wir endlich eine Regierung haben, die das Netz als den wichtigen Wirtschaftsfaktor unserer Zeit entdeckt, kann anscheinend sowieso keiner beantworten.

Shift?

Allgemeines Zwischenfazit: Die Diskussionen im Anschluss an die Panels waren meistens deutlich interessanter als die eigentlichen Vortraege, was doppelt schade war: Einerseits angesichts der teilweise wirklich lahmen Vortraege, andererseits wegen der viel zu knapp bemessenen Diskussionszeit. Im Anschluss an das Twitter-Panel hatte ich mich noch mit einem Medienmenschen der taz unterhalten (dessen Namen ich peinlicherweise schon wieder vergessen habe) und haette die Diskussion auch gerne fortgesetzt, wenn ich nicht schon wieder zum naechsten Vortrag muessen haette.

Ich habe auch den Eindruck, dass das versammelte deutsche Alphabloggertum sich in dieser Rolle sehr gut gefaellt, und hauptsaechlich alte Themen aufs neue durchkaut. Von „Shift“ war aus dieser Ecke kaum etwas zu hoeren, und generell habe ich — abgesehen von der Kulturflatrate — bislang so rein gar nichts richtig kontroverses gesehen.

Herausgestochen hat in diesem Zusammenhang allenfalls der sehr beeindruckende Vortrag von Hendrik Speck ueber die gesammelten Nachteile von Social Networks, wenngleich ich den vorgestellten Prototypen seiner potenziellen Killerapplikation „Hello World“ nun doch nicht so ueberzeugend fand. Schauen wir mal.

Und im Uebrigen bin ich der Ansicht, dass Thomas Knuewer auf jedem Panel einer Netz-Tagung als kritischer Fragensteller im Publikum sitzen sollte.

5 Gedanken zu „Shift happens. Elsewhere.

  1. Markus Hündgen

    Hey, du scheinst den Grundtenor des Vortrags nicht ganz mitbekommen zu haben. Jeder kann Video machen, jeder macht auch mittlerweile (oft mehr schlecht als recht) Video im Web. Was müssen Journalisten bzw. „Profis“ deshalb machen? Eben – nicht die x-te „Wir-kennen-die-Regeln-so-gut“-Fernseh-Kopie – sondern etwas Eigenes, Neues. Dass Video für Journalisten nur ein Tool von vielen darstellt, sollte klar sein. Der Video-Mensch von Morgen muss sein Repertoire erweitern.

    Und ein schnell-produziertes Video nach einer Weile durch ein besser-produziertes Video zu ersetzen, halte ich für einen mehr als medienkonvergenten Weg des Journalismus. Warum sollen wir wie Print an einer Einmal-Erscheinungsweise scheitern?

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  2. stk Beitragsautor

    Hmja, ich hatte vermutlich auch einfach etwas ganz anderes erwartet. Dass Videos im Web anders funktionieren, und dass man nicht die selben Produktions- und Qualitaetsstandards anlegen kann/muss/soll, duerfte ja mittlerweile klar sein, und auch die Sache mit dem ersten „Schnellschuss“ und dem spaeter folgenden „guten“ Ersatz wird ja auch schon bei Fotos erfolgreich praktiziert.

    Was ich ein wenig vermisst habe, war der Hinweis, dass solche Videos eben nur in einem begrenzten Umfeld ueberhaupt sinnvoll sind — hinter mir sassen anzugtragende Zuhoerer, die immer wieder „Relevanz?!“ zischten, denen war das wohl gar nicht klar.

    Trotzdem gibt es aber immer noch Beispiele, wo Redakteure zwar offenbar — endlich — begreifen, dass sie auch mal Videos sinnvoll einsetzen koennten, und auch endlich einmal experimentieren, wo aber einfach nur Quark herauskommt. Und zwar nicht nur schlecht produzierter Quark — das waere ja noch zu verschmerzen — sondern Quark, der nicht einmal aktuell oder raeumlich begrenzt interessiert. Da wird 10 Minuten lang aus der Frontscheibe einer Strassenbahn gefilmt. I shit you not.

    Auch Onlinevideo braucht meines Erachtens deswegen Regeln. Die haben zwar nichts mit den Hochglanzproduktionsregeln des Fernsehens zu tun, aber man sollte halt nicht erwarten, dass sofort auch was gutes rauskommt, wenn man einem Redakteur nur eine Kamera in die Hand geht.

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