Recherchemangel

Ich lese medienlese.com sehr gerne, nicht nur wegen „6vor9“. Den letzten Beitrag von Ronnie Grob finde ich aber etwas befremdlich.

Zur Vorgeschichte, kurz umrissen: Basel spielt gegen Zuerich, der preisgekroente Journalist Jean-Martin Buettner vom Tagesanzeiger faehrt im Sonderzug der Zuericher Zuercher Fans (danke Guido) mit und moechte ueber die Stimmung berichten. Dummerweise klappt er ausgerechnet im Waggon der Hardcore-Fans den Laptop auf, wird als Journalist erkannt, angepoebelt, gekloppt und aus dem Zug geworfen. Die ganze Story gibt es hier.

Grob greift das Thema, besser gesagt die Kommentare unter dem Beitrag auf, und fragt sich, ob es mittlerweile No-Go-Areas fuer Journalisten gibt. Unter anderem zieht er ueber den folgenden Kommentar von Bugsierer auf klartext.ch her:

ich will das elende verhalten dieser krawallanten nicht herunterspielen, aber mal ehrlich: ich habe mich echt gefragt, wie der gute auf die abstruse idee kommt, ausgerechnet mitten in einem fanzug seinen laptop auszupacken. da würde ich mir schon zehn meter gegen den wind sorgen um das gerät machen und mich möglichst unauffällig irgendwo hinsetzen resp. einen späteren zug nehmen. und dann auch noch als basler in einem zürcher fanzug. das finde ich schon etwas weltfremd.

Solche Ansichten machen laut Grob „Feigheit zur Maxime allgemeinen Handelns“, wenngleich ich diesen Kommentar fuer den kluegsten der zitierten Beitraege im Artikel halte. Allein Grob will das nicht einsehen.

Ich habe eben mit einem Bekannten gesprochen, der ueber Umwege Leute in der Hooligan-Szene kennt, und der hat schon bei der Schilderung des Sachverhaltes die Augenbrauen hochgezogen. Nein, rechtzufertigen sei das alles nicht, ganz im Gegenteil, durch die Hools leide die komplette Fussballkultur. In Sachen Journalist sehe er das aber wie der zitierte Bugsierer: Es sei nicht so, dass solch ein Zug eine No-Go-Area speziell fuer Journalisten sei — vielmehr sei das eine No-Go-Area fuer jeden „Aussenseiter“, der in das Beuteschema gewaltbereiter Fussbalfans kommen koennte. Und in Sachen Journalismus sagt er nur eines:

Als Journalist war das entweder blauaeugig oder absichtlich provokativ, ohne jetzt die Sachlage zu kennen. Du kannst dich nicht dazu entscheiden, ueber Fussball eine Insiderreportage zu machen, und dich einfach so in einen Fanzug reinzusetzen — beobachtend im Auge der Beobachteten, mit elektronischem Equipment.  Da hat jemand wohl einfach nicht recherchiert — er hat sich selber eine Reportagepflicht auferlegt, fuer die man auch Risiken eingeht. Der Risiken muss man sich aber bewusst sein und sich darauf vorbereiten.

Ich haette mir wenigstens einen Fanschal mitgenommen…

Ich lasse das mal einfach so hier stehen.

3 Gedanken zu „Recherchemangel

  1. Guido

    Abgesehen davon, dass es „Zürcher“ und nicht „Züricher“ heisst, der beste Artikel den ich bisher in dieser ganzen Schlammschlacht gelesen habe. Ist ja furchtbar, das so heraufzupolemisieren – der Sachverhalt präsentiert sich mir bisher so:

    Ein Mensch provoziert offensichtlich unbewusst eine gewaltbereite Gruppe und wird verprügelt.

    Schuldzuweisungen sind müssig, solche gewaltbereiten Gruppen sind ein soziales Problem, aber gerade jemand der über die Gruppe journalistisch recherchieren will und entsprechen Vorkenntnisse haben müsste, sollte sich bewusst sein, dass die Gruppe eben gerade gewaltbereit ist.

    Und mein Notebook in der Nähe von so viel Bier auszupacken käme mir auch nicht in den Sinn 😛

    Antworten
  2. Guido

    Oh je, dabei wär’s bei der Geschichte sicher schlauer sich herauszuhalten, wenn man guckt was da auf medienlese.ch (das ich deshalb nicht lese, weil ich keine Werbung mag) für persönliche Beleidigungen hin und her geworfen wurden 🙂

    Antworten
  3. stk Beitragsautor

    Also ich wuerde mir auch als Zivilist viermal ueberlegen, ob ich meinen Laptop in so einer Umgebung zuecke. Gut, dass ich offenbar nicht der einzige bin, der so denkt 😉

    Bei dem Medienlese-Artikel sind ja hauptsaechlich nur noch vier Personen in den Kommentaren aktiv: Auf der einen Seite Ronnie Grob, der nach wie vor darauf besteht, dass ein Sonderzug voller Fans ein Ort wie jeder andere ist; unterstuetzt von David Bauer, dem zufolge jeder Journalist arbeiten kann, wie er will, ohne Ruecksichtnahme auf die Umgebung und die ihr eigenen Besonderheiten.
    Auf der anderen Seite Bugsierer, der sein Zitat (IMO zu Recht!) falsch interpretiert sieht; und meine Wenigkeit, sich Windmuehlen gegenueberstehen fuehlend.

    Mal schauen, was herauskommt.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert