Archiv für den Monat: Januar 2009

Das Aussterben der Subkulturen?

Leere Reihen in den Clubs titelt die SWP. Und liegt damit eigentlich leicht daneben. Denn wann auch immer ich wochenends die Hirschstrasse entlanglaufe, sehe ich Schlangen vor dem Myer’s und Theatro stehen. Wie es in den anderen Ulmer Clubs aussieht, weiss ich nicht — die Tanzfabrik soll wohl in letzter Zeit eher leer stehen — aber nichtsdestoweniger, die Überschrift sollte anders aussehen.

„Leere Reihen in den gemuetlichen Laeden, in denen auch mal handgemachte Musik aufgefuehrt wird“, das wuerde es eher treffen. Denn allem Anschein nach geht man heutzutage entweder lieber in Electro-Tanztempel, statt einer Band zuzuhoeren, oder das Livemusik-Publikum bleibt mittlerweile zu Hause, aus welchen Gruenden auch immer. Der Salon Hansen hat bereits im Winter die Konsequenzen ziehen muessen und dichtgemacht, und Klaus Erb zieht nach und wird in absehbarer Zeit (aus umstrittenen Gruenden) seine Pufferbar schliessen. Da stellt sich schon die Frage: Warum denn eigentlich?

SWP-Autor Pierre La Qua nennt steigende Produktionskosten, einbrechende Besucherzahlen auch wegen des Nichtraucherschutzgesetzes, die Umorientierung zu Electro und House, und den Wandel von Musik zum reinen Konsumgut. DSDS wird genannt. Soweit alles richtig.

Aber dann folgt eine schwere Fehlinterpretation.

War man früher stolz auf seine ganz legal erworbene LP seines Idols, die man dann zusammen mit Freunden wieder und wieder durchgehört hat, lädt man sich heute an einem Tag Tausende von Songs aus dem Internet herunter. Zeit zum intensiven Hören oder zur Auseinandersetzung mit der Musik und ihren Inhalten? Fehlanzeige. Der Lieblingshit degeneriert zum File unter zigtausend anderen, gesichtslos zusammengeschrumpft aufs handliche MP3-Format.

Was bleibt, ist der fehlende Respekt vor dem Künstler und seinem Werk.

Der letzte Satz ist richtig. Das davor, lieber Pierre la Qua, Unsinn. Es ist nicht das Transportmedium, das fuer viele aus Musik ein reines Konsumgut gemacht hat, denn ich wage zu behaupten, dass unter last.fm-Nutzern und iTunes-Kunden ein grosser Anteil wahrer Musikliebhaber ist. Die Entscheidung, nur zu pushen, was sich auch vermarkten laesst, kommt rein aus der Musikindustrie, die uns mittlerweile fuer derart bloede haelt, dass sie uns Schaefer Martin als Musiker verkaufen will. Die Verwertungsgesellschaften tun derweil ihr uebriges, wie einem auffaellt, wenn man nur den Folgeartikel aufmerksam liest:

Ein generelles Problem, gerade für kleinere Clubkonzerte, sieht der Geschäftsführer des Roxy vor allem auch in den „Unsummen“, die man an die Gema abtreten muss: „Es kann ja nicht sein, dass ein Club erst mal 15 oder mehr Besucher braucht, damit die Gema bezahlt ist.“

Ich moechte jetzt nicht wieder in die Litanei vom Internet als grossen Gleichmacher verfallen, in der auch unbekanntere Bands ueber einen direkten Vertriebskanal ihre Kunden bedienen und dabei sogar noch mehr als bisher vom Kuchen abbekommen koennen. Aber ganz so einseitig wie in dem Artikel beschrieben, fallen die Ursachen fuer das langsame Wegsterben der Livemusikszene in Ulm dann doch nicht aus.

Und weil ich ja nie nein sagen kann, wenn es darum geht, mir noch mehr Arbeit aufzuhalsen, werde ich der Frage einmal nachgehen. NERT-maessig. Demnaechst mehr an dieser Stelle, und vielleicht auch nebenan.

Weg mit den Gelfrisuren

Letztes Wochenende war die DLD09 in Muenchen, und sie ist voll an mir vorbeigegangen, trotz der hochkaraetigen Gaeste. Jeff Jarvis (Buzzmachine), Arianna Huffington (Huffington Post) und Mark Zuckerberg (Gesichtsbuch) sind nur eine Auswahl, und natuerlich haben sich dort auch deutsche Medienmogule und Interessierte an der schoenen neuen Informationswelt getroffen.

Den ersten „richtigen“ Eindruck von der DLD, den ich abgesehen von einigen Tweets bekommen habe, hat mir der FAZ-Netzoekonom in einer Bildergalerie vermittelt. Und jetzt schaue man einmal hin, wie sich Teile des Publikums hier von den Teilnehmern sonstiger Web-Konferenzen unterscheiden. Auch dort findet man einige Anzugtraeger, aber sicher nicht solche, wie auf dem letzten Bild des Netzoekonomen. Foenfrisuren, zurueckgegelte Haare? Ist das eine Konferenz fuer BWL-Klischees?

Thomas Pany hat das Thema auf Telepolis aufgegriffen, und er schreibt mir von der Seele:

graumelierter Kurzhaarschnitt, englischer Anzug, Hornbrille, die faltenfreie FAZ ungelesen auf dem Büroschreibtisch; wichtige Menschen, gewohnt, diskret aus dem Hintergrund zu agieren, mit großer Macht.

Hier, auf dieser Veranstaltung, wirkten sie manchmal ein wenig wie ratlose Antiquitätenhändler. Um sie herum aufgeklappte Notebooks, dahinter junge kluge Köpfe mit Drähten dran und leisen Fingern, die so nebenbei über saubere Tastaturen laufen, während man dem Bekannten freundlich zunickt; eine neue, zielgerichtete Generation, die, so hat es den Anschein, ohne Stenzgehabe und Schmalz auskommt und dem Antiquitätenverleger Angst einflößt, weil sie die vife Vorhut derer ist, die, so steht zu befürchten, völlig ohne Zeitungen auskommen kann.

(via Medienlese)

PS: Ein neues schoenes Multimedia-Projekt bahnt sich an. Ganz ohne zurueckgegelte Haare.

Weit mehr als 1000 Worte

Bei der New York Times gibt es einen hervorragenden Rueckblick auf acht Jahre Bush — oder besser gesagt, auf die Pressefotos, die waehrend dieser Zeit veroeffentlicht wurden. Errol Morris spricht mit Agenturfotografen und Bildredakteuren von AP, AFP und Reuters und zeigt unter anderem am Beispiel von Bush am Morgen des 11. Septembers in der Grundschule, wie unterschiedlich Fotos von ein und demselben Ereignis ausfallen koennen, und wie unterschiedlich ein- und dasselbe Foto interpretiert werden kann.

So schreibt Jim Bourg (AP) zum Beispiel ueber ein Bild, das anlaesslich eines Bush-Besuchs in Deutschland entstanden war und Bush grimassenschneidend mit einem Baby in den Haenden zeigt:

That is one of my most controversial pictures that I shot myself. And one of my pictures that’s gotten the most attention. Bush supporters and Bush detractors seem to love it almost equally. People who support the president see it as a humorous and endearing moment, and detractors of the president and critics of the president see it as a very negative image. But, once again, it’s one of those moments where it was very quick, it was just an instantaneous reaction to the baby screaming and crying and I was lucky enough to capture the moment and it got very extensive publication overseas.

Was den Artikel fuer mich besonders lesenswert gemacht hat, sind die besonderen Momente, die man kaum in der Presse sah. Bush, dem bei einer Trauerfeier fuer einen im Irak getoeteten Soldaten die Traenen in den Augen stehen. Bush, der nach seiner letzten grossen Ansprache am 15. Januar mit aufgewuehltem Gesichtsausdruck zurueck in den East Room kommt, um sich von allen Mitarbeitern zu verabschieden. Oder kurz: Bush, der trotz aller Kontroversen um ihn und seine Entscheidungen letztenendes auch „nur“ ein Mensch ist.

Ich gehe viel zu selten in die Olgabar

Ernsthaft. Gestern abend hat’s uns nach mehrstuendigem Auf-die-Bedienung-warten und Fernseher-ausmachen im Choclet noch dorthin verschlagen, und das war gut so. Erstens, weil das Choclet-Personal irgendwann anfing, am Fernseher nach Wackelkontakten zu suchen und wir uns kaum das Lachen verkneifen konnten. Und zweitens, weil in der Olga sooo oft Livemusik ist, ich aber irgendwie nie hingekommen bin. Bis gestern.

Okay, die Musikauswahl konnte sicher nicht mit Tiefschwarz und wasweissich mithalten, der Stimmung tat das aber keinen Abbruch. Und ausserdem gehoerten wir gestern zu den juengeren Semestern in dem Laden, was mir auch schon eine ganze Weile nicht mehr passiert ist (man wird halt alt). Und wen das noch nicht ueberzeugt: Rolf war da und hat auch getanzt. Olgabar-Party blessed by Ulmer Lokalguru. Was will man mehr.

Linkdreingabe: Was FAZ-Schreiber 2004 vom Ulmer Nachtleben hielten.

Wie ich eine Batterie tauschte

Diesen Text hatte ich einmal in meinem TU-Profil stehen. Aus nicht nachvollziehbaren Gruenden hatte ich ihn auch gespeichert, er datiert vom 14. September 2006. Aus einer Laune heraus repost mit minimalen Korrekturen nach hier. Der Programmieralgorithmus ist uebrigens keine Verarsche, sondern funktioniert zumindest beim Nissan P11 und K11.

Funkfernbedienungen sind etwas tolles. Man kann damit, so man will, sein Auto locker aus der Huefte schiessend oeffnen und verschliessen, und damit auch jeder ahnungslose Passant sieht, wie modern und weltgewandt man doch als Fernbedienungsbenutzer ist, wird das auch immer von lustigem Blinken der Fahrtrichtungsanzeiger begleitet.

Nun liegt es leider in der Natur vieler Fernbedienungen, dass sie eines Tages einmal den Geist aufgeben. Die Ursache liegt in pro Fernbedienung zwei kleinen, mit Lithium und Mangandioxid gefuellten Metallscheibchen mit der Aufschrift „CR1620“, die eines Tages sagen „Juppheissassa undsoweiter, wir waren lang genug Batterie und wollen in die Wertstoffsammlung, dipdidu etcetera p.p.“.

So ging das auch mir, als ich letztes Jahr nach Deutschland zurueckkehrte. Die aus zweien solcher Knopfzellchen bestehenden Batterie meiner Fernbedienung ging nach nur zwei Jahren in Fruehrente, und ich war gezwungen, ab sofort ganz altmodisch mein Auto mit dem Schluessel zu ver- und entriegeln. Nicht nur das, manche BeifahrerInnen fragten angesichts meiner offensichtlichen, da funklosen, Rueckstaendigkeit, ob sie beim Aussteigen ihre Tuer verriegeln sollten! Als wuerde ich einen versifften und mit Fast-Food-Tueten vollgemuellten Golf II fahren, anstelle meines versifften und mit Einkaufstueten vollgemuellten Studentencabrios (mit Zentralverriegelung!).

Nachdem ich diesen haltlosen Zustand knapp ein Jahr ertragen hatte, musste Abhilfe her. Elektronikversender boten mir die kleinen Kraftspender fuer schlappe zwei Euro pro Stueck zuzueglich Versand an. Ueber zehn Euro fuer die Bestueckung meiner zwei Autoschluessel, davon kann man sich als Student beinahe eine Woche ernaehren, so geht das natuerlich nicht, und man will ja auch nicht als Beschaffungskrimineller in die Schlagzeilen eingehen. Also bei ebay bestellen, zehn Stueck fuer fuenf Euro inklusive Versand, das hoert sich doch viel besser an. Gleich online ueberwiesen (wie sich das fuer einen modernen, sogar eine fast funktionierene Autofunkfernbedienung besitzenden Menschen gehoert) und tageweise auf das Maxibriefchen gewartet – endlich, CR1620, wie schoen euch zu sehen! Die Batterien frisch eingesetzt lief ich frohlockend zum Auto, um… nun, um vor verschlossenen Tueren zu stehen.

Scheisse. Stimmte die Polaritaet? Die Marke? Hatte ich die Fernbedienung durch Unachtsamkeit zerstoert? Ich war ratlos, genau wie die Betriebsanleitung meines Kraftfahrzeugs. Sollte ich nunmehr fuer immer rueckstaendig mit nur einem Schluessel und einer nicht funktionierenden Autofunkfernbedienung durchs Leben gehen? Doch halt, wofuer gibt es denn das Internet und die unzaehligen Newsgroups und Foren! Und dort fand ich sie dann schliesslich, die unheimlich einleuchtende und logische Art und Weise, wie man eine Nissan-Funkfernbedienung nach dem Batteriewechsel wieder ihrer Bestimmung zufuehrt. So einfach, und doch war ich nicht darauf gekommen:

  • Tueren schliessen, aber nicht verriegeln
  • Zuendschluessel ins Schloss stecken
  • Zuendung genau sechsmal ein- und aussschalten
  • Zuendschluessel auf „Lock“ stellen, Blinker blinkt zweimal
  • Rote Taste der Fernbedienung gedrueckt halten
  • Schwarze Taste der Fernbedienung dreimal druecken
  • beide Tasten gleichzeitig loslassen, Blinker blinkt
  • mit zweiter Fernbedienung wiederholen
  • Zuendung ein- und ausschalten, Blinker blinkt zweimal

Ich war sprachlos. Und, seither, gluecklicherweise wieder modern. Wenn Sie also demnaechst einen dynamischen jungen Mann froehliche Volksweisen singend auf sein rotes Auto zuschlendern und selbiges mittels Funkfernbedienung entriegeln sehen, fragen Sie ihn doch mal, ob er mit Ihnen einen Fruechtetee trinken moechte. Sie muessen dann beim Aussteigen nicht einmal das Knoepfchen herunterdruecken.

Auf nach Berlin

Eigentlich wollte ich ja so schnell nicht wieder fliegen — Umweltgedanken einmal hin oder her, ich mag den ganzen Kram mit Gewichtsbeschraenkung, Sicherheitskontrollen und Wartezeiten nicht so sehr. Angesichts der Tatsache, dass die ICE-Fahrt nach Berlin und zurueck bei etwa gleichem Preis gut fuenf Stunden laenger dauert als der Flug FMM-TXL, war die Sache aber schnell beschlossen. Beinfreiheit, Stromanschluss und WLAN hin oder her, sieben Stunden Zugfahrt sind mir zu lange.

Der telefonische Asylantrag auf Sofaunterkunft ging gestern ebenfalls durch, und so steht dem Abenteuer re:publica nichts mehr im Wege. Interessante Redner sind auch schon angekuendigt; hoffen wir mal, dass ihnen noch weitere folgen (Clay Shirky! Clay Shirky!!!)

Der kanadische Science-Fiction-Autor und Star-Blogger Cory Doctorow wird ebenso dabei sein wie Anthony Volodkin von der Musikblogs-Empfehlungsseite The Hype Machine und moot, dem Gründer von 4chan.org, der über Internet-Meme sprechen wird.

Die ehemalige New Media Operations Managerin der Obama-Kampagne und Mitgründerin von DigiActive.org, Mary C. Joyce, wird zusammen mit Esra’a Al Shafei, Gründerin von MideastYouth.com, über politische Kampagnen und soziales Engagement im Netz diskutieren. Der deutsche Blog-Forscher Jan Schmidt wird die Ergebnisse der Studie “Jugendliche und Web 2.0″ präsentieren.

Wer noch mit will: Es gibt sowohl noch relativ guenstige Fluege von Memmingerberg als auch VVK-Karten ab 60 EUR.

Und die Surfempfehlung des Tages: Boston.com mit „The Big Picture“ mal wieder, dieses Mal die Vereidigungsfeier von Obama. Ja, die ameisenartigen Ansammlungen vor dem Capitol sind Menschen. Wahnsinn 🙂