Die Print-Wette

So. Ich bin am Freitag eine massive Wette eingegangen. Wlada und ich haben uns mal wieder ueber Printjournalismus gestritten. Sie hat ueber die selbstherrlichen Blogger und Online-Fanatiker abgekotzt, die das Internet fuer die letzte Bastion der Demokratie halten. Ich habe gleichermassen ueber die selbstherrlichen Elfenbeinturm-Printjournalisten und -Publizisten abgekotzt, die das gedruckte Wort fuer die Voraussetzung der Kultur des Abendlandes halten.

Irgendwann wurde daraus eine Diskussion ueber die Zukunft der Tageszeitungen: Ich bin der Ansicht, dass gedruckte Zeitungen langfristig nur mehr im Wochenzeitungsegment wirtschaftlich tragbar (und fuer den Leser sinnvoll) sind, Wlada haelt dagegen und argumentiert mit den Anzeigenpreisen in Print und Online (die momentan noch sehr krass auseinanderliegen).

Deswegen haben wir nun gewettet. Ich habe in den Raum geworfen, dass in zehn Jahren bestimmt ein Drittel der heute erscheinenden Tageszeitungen nicht mehr taeglich in Druckform erscheinen wird. Wlada haelt dagegen. Wetteinsatz: 500 Euro.

Ich haette ja nicht gedacht, dass sie drauf eingeht — ist sie aber. Stichtag ist der 01.01.2019. Und nun muss ich recherchieren.

Anzahl der Tageszeitungen

Die ist tatsaechlich schon in den vergangenen Jahren gesunken — um eher magere 10 Prozent. Nimmt man die Zahlen von 2005, muessten binnen zehn Jahren rund 125 Tageszeitungen ihren Printvertrieb einstellen, damit ich keine 500 Euro nach Berlin abdruecken muss. Das ist eine ganz schoen grosse Anzahl, und ehrlich gesagt wird mir gerade ein wenig mulmig. Aber vergleichen wir doch mal die Werbeausgaben.

Anzeigenumsaetze: Online vs. Print

Bis auf einige Branchenriesen wie SpOn kann kaum jemand mal eben 36.000 EUR pro Tag fuer Bannerwerbung verlangen — und selbst dort verblasst der Preis im Vergleich zu Preisen von bis zu 151.991 EUR fuer eine Doppelseite im gedruckten Spiegel (Ja, Aepfel und Birnen). Andererseits erreicht man in der Tageszeitung zwar eine grosse Zahl an Lesern — aber erreicht man so auch die Zielgruppe? Oder verpufft die Werbewirkung im Nichts? Im Internet fallen viele Anzeigen zwar der Banner Blindness zum Opfer, andererseits kann man nirgendwo anders so gezielt seine Zielgruppe erreichen, wie auch der Netzoekonom aufzeigt. Zudem muessen sich die Onlineangebote nicht zwangslaeufig rein mit Werbung finanzieren. Freemium-Modelle funktionieren schon jetzt — der Knackpunkt ist nur, einen ansprechenden Dienst zu entwickeln, der einen bezahlenswerten Mehrwert fuer den Nutzer mit sich bringt.

Die Anzeigenerloese der holzverarbeitenden Industrie sacken indes ebenfalls durch, wie medienlese ausfuehrlich darlegt:

Mit einem Wort: Amerika ist gar nicht ‘gaaanz anders’, das substanzlose Getute und Geröhre vom ‘Qualitätsjournalismus’ hat Deutschlands Verlegern nichts genutzt, die große Zeitungskrise ist zu uns über den Ozean geschwappt, sie ist in fast allen Redaktionen angekommen. ‘Print’ – so wie wir ihn in den letzten Jahren erlebten – wird flächendeckend in der heutigen Masse und Breite zu einem Auslaufmodell des Journalismus werden.

Was das heisst, duerfte klar sein: Stellenkuerzungen. Oft auf Kosten der Qualitaet. Dadurch sinkende Auflagen. Und irgendwann Einstellung der gedruckten Tagespresse.

Es duerfte zwar noch ein Stueck Arbeit sein, bis sich diese Erkenntnis ueberall durchsetzt, aber langfristig gesehen sollte sich selbst der Metzger an der Ecke ueberlegen, ob er nun nicht doch langsam im Netz gefunden werden moechte, sowohl ueber Werbung als auch mit einer Website. Alles eine Kostenfrage.

A propos.

Kostenpunkt Skalierbarkeit

Eigentlich eine Milchmaedchenrechnung. Moechte ich als Hintertupfener Tagblatt nun auch die umliegenden drei Landkreise mit abdecken und so die Auflage verdoppeln, werde ich mir schwertun. Ich brauche doppelt so viel Papier und Druckfarbe und muss meine Druckmaschinen laenger laufen lassen. Zusaetzlich muss ich aber auch noch eine Vertriebsstruktur in den neuen Vertriebsgebieten schaffen — schliesslich kann ich die gedruckte Zeitung nicht durch die Telefonleitung schicken. Das ist auch mit ein Grund, warum es so wenige ueberregionale Tageszeitungen gibt und warum die Sueddeutsche ihren NRW-Ableger wieder sterben lassen musste, trotz hohen Zuspruchs.

Uebrigens habe ich als Hintertupfener Tagblatt in obigem Beispiel noch keinen einzigen Redakteur fuer die neuen Gebiete. Aber in den heutigen Zeitungen sollen ja weniger Mitarbeiter mehr Inhalte liefern — selbstverstaendlich bei gleich bleibender Qualitaet. Hahaha.

Internet skaliert in diesem Vergleich verdammt gut: Um meine Nutzerzahlen zu verdoppeln, muss ich die Betriebskosten fuer die Infrastruktur nur moderat erhoehen. Und weder muss der treue Leser im Urlaub Mehrkosten fuer die Urlaubszustellung auf sich nehmen, noch einen zusaetzlichen Tag warten. Vorausgesetzt, das Webangebot nimmt den Nutzer ernst und setzt ihm nicht nur Klickstrecken vor — und vorausgesetzt, der Nutzer laesst sich auf das Internet als Nachrichtenquelle ein. Aber auch das ist nur eine Frage der Zeit.

Der technische Fortschritt

Vorbei sind die Zeiten, in denen man nur vom Heimrechner oder dem suendhaft teuren und gleichzeitig furchtbar schweren Laptop ueber Modem oder ISDN quaelend langsam ins Internet konnte. Mein ueber zwei Jahre altes Telefon kann per WLAN ins Netz, moderne Netbooks halten bis zu sechs Stunden Zugfahrt durch, waehrend der man sich durch die vorab auf den RSS-Reader geladenen Nachrichten und Artikel durchlesen kann — und wenn es einen furchtbar interessant klingenden Backlink gibt, kann man dem sogleich via WLAN oder UMTS folgen. Die New York Times macht das schon, in Deutschland sucht man danach vergebens.

Das kann die gedruckte Zeitung ebensowenig, wie eine Kommentarfunktion anzubieten oder gar die Leser derart wertzuschaetzen, auf diese Kommentare einzugehen. Aber das machen ja meist nicht einmal die Onlineableger der Zeitungen.

Der demographische Wandel

Nein, zur Abwechslung mal kein Traktat ueber die Rente, sondern ueber netzaffine Nutzer. Wer nach 1990 geboren ist, ist gerade zur Dotcom-Blase in die Pubertaet gekommen, mit Social Networks und WLAN-Routern gross geworden. Nach der Allensbach-Studie „Die junge Generation als Vorhut gesellschaftlicher Veraenderungen“ (PDF) haben nur 41,1% der befragten 14-29jaehrigen am Tag zuvor eine Tageszeitung gelesen, 1990 waren es noch ueber 65% (siehe obiges PDF, Seite 20)

Dieselbe Studie legt auch den Schluss nahe, dass sich dieses Verhalten spaeter fortsetzen wird: Wer schon als junger Mensch nicht taeglich eine Tageszeitung liest, wird das auch spaeter nicht mehr anfangen (obiges PDF, Seite 21). Extrapoliert man die Daten, kommt man zu folgender groben Abschaetzung:


Bevölkerung ab 14 Jahre 14-19 20-29 30-39 40-49 50-59 60+
1980 68,9 53,4 61,4 72,1 72,8 74,8 73,6
1989 65,8 49,1 56,5 67,4 72,4 72,3 71
2000 61,8 35,1 45,1 55,8 65,7 70,1 73,3
2008 54,7 26,3 29,4 45,5 53,7 65,6 73
Projektion 2018 (stk)
18 25 29 45 53 70

Die orange markierten wurden in der Allensbach-Studie als Indikator verwendet, die Prognose 2018 habe ich Pi mal Daumen aus den bisherigen Werten abgeschaetzt (einfach die Diagonalen fortgesetzt und die bisherige Entwicklung einfliessen lassen), wobei ich dabei meines Erachtens sehr konservativ zugunsten der Zeitung war.

Natuerlich sind hier sehr viele Unwaegbarkeiten mit im Spiel, da momentan nicht abzusehen ist, wie die 14-19jaehrigen in Zukunft die Tageszeitung als Informationsquelle betrachten werden, ausserdem wird die Altersgruppe 60+ in Zukunft einen groesseren Anteil an der Gesamtbevoelkerung ausmachen als bisher.

Man moechte sich aber einmal vor Augen halten, dass dieser (zugegeben sehr kruden) Abschaetzung zufolge 2018 nur mehr rund ein Viertel aller 14-39jaehrigen taeglich oder fast taeglich eine Tageszeitung lesen wird — insgesamt wohl weniger als die Haelfte der Gesamtbevoelkerung. Das wohlgemerkt nur, wenn sich die bisherigen Trends wie bisher fortsetzen werden und der aeltere Teil der Bevoelkerung weitestgehend an seinen Gewohnheiten festhaelt, eine gedruckte Tageszeitung zu lesen. Was ich sehr stark bezweifle.

Leapfrogging, oder „The Rise of the Silver Surfers“

Mein Vater hat einen bayerischen Volksschulabschluss, danach eine Lehre abgeschlossen und ist nun seit ueber 35 Jahren Kundendiensttechniker bei einem Haushaltsgeraetehersteller. Zu seinem 60. Geburtstag vor ein paar Wochen hat er von der Familie ein Netbook geschenkt bekommen — das er sich selbst ausgesucht hat, weil er genaue Vorstellungen und Anforderungen hatte. Auf dem Klassentreffen seiner damaligen Volksschulklasse haben er und seine Schulkameraden sich stundenlang unterhalten, wer wo seine Musik herunterlaedt, wie man ueber Coladeckel an iTunes-Gutscheine kommt, und welche Features die naechsten Netbooks und Smartphones haben muessen, damit sie sich auch ein neues kaufen.

Ich verarsche euch nicht, ich bin genauso mit offenem Mund dagesessen, als er mir das erzaehlt hat.

Eigentlich gibt es ja fuer fast alles im Netz einen tollen Web-2.0-Namen, fuer dieses Phaenomen habe ich aber noch nichts gefunden. Ich nenne sie die „Silver Surfers“ — Bastler, Technikverliebte und Gadgetnerds (im positivsten Sinne des Wortes) kurz vor dem Ruhestand, die mit dem technischen Fortschritt mitkommen und zwar nicht alles ausprobieren, die Sache aber beobachten und diejenigen Entwicklungen mitnehmen, die ihnen gefallen. Mal schauen, welches Potenzial Wikipedia und Openstreetmap noch aus diesen Damen und (vorwiegend) Herren ziehen koennen, sobald sie sich im Unruhestand befinden (Man beachte den Altersdurchschnitt auf dem Foto im verlinkten SWP-Artikel ;))

Fazit

Fassen wir einmal zusammen:

  • Online laesst sich mit Anzeigen nicht so viel Geld machen wie in Print. Dort fallen die Anzeigenpreise aber gerade auch schon, fast ueberall muss eingespart werden, teilweise leider zu Lasten der Qualitaet, was den Kreislauf noch beschleunigen duerfte
  • Internet ist schneller. Punkt. Ein grosser Teil der ueberregionalen Meldungen der heutigen Tageszeitungen standen gestern schon im Netz. Nicht zuletzt deswegen, weil das sowieso oft nur Agenturmeldungen sind. Gleichzeitig wird das Internet durch ultramobile Rechner und UMTS quasi allgegenwaertig und praktisch nutzbar.
  • Junge Leute sind bei tagesaktuellen Meldungen eher dem Internet als der Zeitung zugetan. Junge Leser laufen den Zeitungen nicht mehr in dem Masse zu wie frueher — das laesst sich statistisch belegen. Diese jungen Leute werden nicht irgendwann auf einmal anfangen, eine Tageszeitung zu lesen
  • Auf der anderen Seite wenden sich auch einige der aelteren Leser dem Internet zu oder — krass gesagt — sterben weg. Fuer die verbleibenden Leser den Vertrieb aufrechtzuerhalten, wird sich irgendwann nicht mehr lohnen

Damit kein Missverstaendnis aufkommt: Guter Journalismus ist noetig, und ich sehe hier nicht die Abloesung des klassischen Journalisten durch Blogger oder Buergerjournalisten — das sind in meinen Augen nicht zwei verschiedene Lager, sondern verfolgen im Endeffekt idealerweise dasselbe Ziel und arbeiten auch zusammen.

Ebensowenig wird die gedruckte Zeitung so schnell vollkommen aussterben. Gerade als Wochenzeitung sehe ich weiter grosses Potenzial fuer gut recherchierten Printjournalismus abseits der Sofortmeldung. Das letzte Stuendchen der Tageszeitung hat aber ueber kurz oder lang geschlagen. Vielleicht habe ich mich mit meiner Prognose vielleicht ein wenig arg zu weit aus dem Fenster gelehnt — ich weiss es nicht.

Spaetestens am 1.1.2019 wissen wir mehr. Auch, wer die 500 Euro bekommt.

5 Gedanken zu „Die Print-Wette

  1. markus

    ich habs nur zur sicherheit mal in meinen kalender geschrieben. bin gespannt, ob wlada genug popo in der hose hat, um dir dann dein geld zu geben 🙂

    wlada, falls du das hier liest: wettschulden sind ehrenschulden!

    Antworten
  2. Pingback: Danke, FH Mainz | stk

  3. Pingback: Leseempfehlung (3) | stk

Schreibe einen Kommentar zu markus Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert