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„Sexismus und Regen“

Antje Schrupp hat einen Text zu „fappygate“ geschrieben.

Wer nicht mitbekommen hat, was das war: Gut so. Am besten gar nicht recherchieren. Gibt nur graue Haare. Lest stattdessen den Text. Der hat Perlen wie diese hier:

Im Kern ist wieder mal etwas passiert, das im Netz (und sonstwo auch) ja eigentlich dauernd passiert: Ein reichweitenstarker und gut vernetzter Mann bemerkt irgendwo eine Feministin, deren Äußerungen seiner Ansicht nach unwahr, überzogen, zu radial oder undiplomatisch sind, und bloggt darüber, wo seiner Ansicht nach die Grenze zwischen richtigem und falschem Feminismus verläuft.

Und eine Replik auf einen sich gescholten fuehlenden reichweitenstarken und gut vernetzten Mann in den Kommentaren:

Worum es hier geht, das ist die Struktur der Auseinandersetzung. Darauf bezieht sich mein Post. Du hast mit der Art und Weise, wie du das Thema aufgegriffen hast sexistische Strukturen bedient (ob willentlich oder unwillentlich ist egal), obwohl inzwischen ja bekannt ist, wie diese Debatten laufen, wie schnell man damit Maskus aktiviert, wie leicht man dafür Applaus bekommt und so weiter. Lies dir einfach mal die Kommentare unter deinem Artikel durch, also ich würde Leuten eine solche Plattform nicht geben wollen.

Und mehr moechte ich dazu gar nicht mehr sagen. Danke Antje.

Linkschau

Um @sebaso zu zitieren: „Endlich mal ein vernuenftiger Use Case fuer NC-Lizenzen!“ → Lizenzhinweise fuer Ueberwachungskamerabilder, selbstgebastelt 🙂

Was die Polizei alleine nicht schafft – bedrueckende Erlebniserzaehlung einer (gesetzeswidrigen) Polizeikontrolle im Zug allein der Hautfarbe wegen.

Der Ältere fragt nach meinen Ausweispapieren. Die Polizisten hatten also vor mir jede Menge Möglichkeiten nach Ausweispapieren zu fragen, aber nein, nur meine Papiere zu sehen, schien anscheinend interessant. Sehe ich so interessant aus? Wie sehe ich denn aus? Meine Haut hat eine Färbung, die als „schwarz“ bezeichnet wird, obwohl eindeutig nicht schwarz. Ich trage ein grün-schwarzes Holzfällerhemd, eine Base-ball-Mütze und habe ein Schal um den Hals. Vor mir auf dem Tisch liegen zwei dicke Bücher zu Mikroökonometrie und Regressionsmodellen für kategorische abhängige Variablen.

Murder Machines: Why Cars Will Kill 30,000 Americans This Year. Pointiert geschriebenes Stueck rund um die Geschichte der Verantwortung bei Verkehrsunfaellen mit Kraftfahrzeugen.

Roads were seen as a public space, which all citizens had an equal right to, even children at play. “Common law tended to pin responsibility on the person operating the heavier or more dangerous vehicle,” says Norton, “so there was a bias in favor of the pedestrian.” […]

By the end of the 1920s, more than 200,000 Americans had been killed by automobiles. Most of these fatalities were pedestrians in cities, and the majority of these were children. “If a kid is hit in a street in 2014, I think our first reaction would be to ask, ‘What parent is so neglectful that they let their child play in the street?,’” says Norton.

“In 1914, it was pretty much the opposite. It was more like, ‘What evil bastard would drive their speeding car where a kid might be playing?’ That tells us how much our outlook on the public street has changed—blaming the driver was really automatic then. It didn’t help if they said something like, ‘The kid darted out into the street!,’ because the answer would’ve been, ‘That’s what kids do. By choosing to operate this dangerous machine, it’s your job to watch out for others.’ It would be like if you drove a motorcycle in a hallway today and hit somebody—you couldn’t say, ‘Oh, well, they just jumped out in front of me,’ because the response would be that you shouldn’t operate a motorcycle in a hallway.”

(via)

The Data Visualization Catalogue – Welche Datenvisualisierung passt zu welcher Art von Daten? (via)

The Sunlight Foundation’s Data Visualization Style Guidelines – Schoene Einfuehrung zu gut lesbaren Graphen. (via)

Zuletzt noch ein wenig Piratenrelatierter Content:

Wieviel Demokratie vertraegt die FDGO? – Lesestoff nicht nur fuer Piraten, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu etwas Heiligem verklaeren, ganz ideologiefrei, natuerlich.

Kritisiert wird an dieser Definition zunächst ihre Entstehung. Das BVerfG hatte sie zu großen Teilen aus dem damaligen § 88 Abs. 2 StGB (heute § 92 Abs. 2 StGB) übernommen, aus dem Abschnitt der staatsgefährdenden Straftaten. Das Gericht hat damit eine bereits existierende Definition des Strafrechts zu Verfassungsrecht erhöht. Problematisch ist das besonders, weil mit dem fdGO-Begriff Einschränkung von Grundrechten einhergehen. Die Definition selbst lässt viele Fragen offen, die auch von den Gerichten und in der Rechtswissenschaft nicht einheitlich beantwortet werden. […]

Nach dieser Logik lässt sich jede an Freiheit, Gleichheit und Hierarchieabbau orientierte Gesellschaftskritik, die nicht oder nicht ausschließlich auf die parlamentarische Demokratie, den bürgerlichen National-Staat oder ein kapitalistisches Ökonomiemodell setzt, als extremistisch diskreditieren, ungeachtet dessen, ob sich die Kritiker_innen klar gegen orthodoxen Marxismus-Leninismus, Stalinismus und autoritäre Staatssysteme wie z.B. die DDR positionieren. Der Schutz von Freiheit und Demokratie kehrt sich so in sein Gegenteil.

(via)

Ausserdem zwei Kommentare zu #bombergate und der, hm, „linkskritischen“ Fraktion innerhalb der Piraten, die mal eben die Partei lahmzulegen versuchen, um ihren Willen zu bekommen: Wer eskaliert hier eigentlich? von Lars Reineke und eine rhetorische Frage von Michael Seemann.

Bonuscontent: The Male Gaze in Porn (With Commentary By Doge) – alleine schon der Kommentare wie „such not cunnilingus“ wegen ansehen. Und der Musik 😉

Die starken Frauen

Eine der Lieblingsbeschaeftigungen von Netzmenschen, insbesondere Piraten, ist das rituelle gegenseitige Bewerfen mit metaphorischer Kacka, auch „Shitstorm“ genannt. Vorgestern bin ich in ein solches Phaenomen geraten, als es — wieder einmal — um die Genderfrage ging.

Jetzt muss ich zugeben, von diesem Thema nicht so viel zu verstehen, wie ich das gerne wuerde. Ich bin ein Kerl, der jahrelang die ueblichen Meinungen vertreten hat: Dass gegenderte Sprache scheisse aussehe, Frauenquoten dazu fuehrten, dass Frauen nur wegen ihres Geschlechts statt ihrer Qualifikation an Posten kaemen, und dass das heute doch alles viel besser sei als frueher.

Das hat sich mittlerweile geaendert. Wie ich Mathias Eigl damals erzaehlt habe: Ich folge Twitter bewusst Leuten, die anderer Meinung sind als ich. Auf der Konferenz der Informatikfachschaften steht das Thema traditionell auf der Tagesordnung, nicht nur der dort anwesenden Oesterreicher wegen (die in dieser Sache viel weiter sind als wir, habe ich oft den Eindruck). Und ich habe mich an meiner Fakultaet mit der Frage beschaeftigt, warum wir eigentlich so wenige Frauen in den Ingenieurwissenschaften und der Informatik haben. Obwohl Programmiererin mal ein „typischer Frauenberuf“ war (was ist das eigentlich?), und trotz Vorbildern wie Grace Hopper.

Und dann war ich angefixt. Landete in einem Seminar des Institut fuer Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin und analysierte Geschlechterrollen in Film- und Fernsehdarstellungen. Las Blogs, die ich noch vor zwei Jahren fuer Schaum-vorm-Mund-Publikationen hielt, und beobachtete mich zusehends selbst Schaum vor dem Mund zu bekommen, wenn mir jemand mit platten Aussagen zu dem Thema kommt.


 

Ich wuenschte, ich wuesste mehr. Und koennte mich distanzierter mit dem Thema beschaeftigen. Dann haette ich gleich vorgestern abend schreiben koennen, was mich an der Einstellung stoert, (maennlicher) Feminismus sei Sexismus: Es negiert jegliche Verantwortung seitens Maennern und setzt gleich noch eine implizite Beschuldigung an alle Frauen obenauf.

Wenn es Sexismus sein soll, sich als Mann fuer eine tatsaechliche Gleichberechtigung nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis und vor allem in den Koepfen der Menschen einzusetzen, dann mag darin die gute Absicht mitschwingen, Frauen zuzugestehen, stark genug zu sein, dieses Problem selbst loesen zu koennen. Das hiesse aber auch: Der Weg zur Gleichheit ist keiner, den alle gemeinsam beschreiten, sondern der gefaelligst von denjenigen beschritten werden soll, die momentan marginalisiert werden. Und: Diejenigen, die momentan vom Status Quo profitieren, ihn aber zum Ziele der Gleichstellung in Frage zu stellen bereit sind, haben sich herauszuhalten. Und, zuletzt und am schwerwiegendsten: Wenn (noch) keine Gleichstellung erfolgt ist, ist die marginalisierte Gruppe selbst daran schuld. Die sollte doch stark genug sein.

Mir warf Jochen aka Laser (den ich persoenlich kenne und mit dem ich ansonsten keine Probleme habe) vor, dass mein Wissen doch nur angelesen sei und er seines aus dem Real Life habe. Er hat Recht: Ich habe mir das angelesen, und weiss immer noch zu wenig, und im Real Life hat er einige Jahre mehr als ich auf dem Buckel.

Nach dem rund einen Jahr, in dem ich mich intensiver mit dem Thema auseinandersetze, weiss ich hauptsaechlich, dass es viel mehr Aspekte darin gibt, mit denen ich mich noch gar nicht beschaeftigt habe. Dass einem, wie in anderen Beispielen auch, erst einmal die Augenbinde abgenommen werden, man das Phaenomen zu erkennen lernen muss. Und man den Eindruck hat, umso weniger zu wissen, je mehr man lernt.

Wie fast immer: Wenn es so scheint, dass man zu einem Thema innerhalb eines Jahres nichts dazugelernt hat, bleiben zwei Moeglichkeiten. Entweder, man weiss alles dazu, was es zu wissen gibt. Oder man hat in diesem Jahr so rein gar nichts dazugelernt.

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Mit Dank und teilweise Sorry an die vielen wenigen, die nicht muede werden, ihre Positionen oeffentlich im Netz zu vertreten, trotz oder gerade wegen der Resonanz, die sie dafuer einfangen. Die Namen waeren zu viele, aber beim kegeklub kann man sich heute beispielsweise die Ergebnisse einer grossen Genderumfrage bei den Piraten ansehen.
Das Thema geht noch weiter als nur in die Genderdebatte; Zu Antira habe ich mangels eigenen Wissens wenig geschrieben, und Ableismus waere die naechste Baustelle, bei der ich zumindest Jule danken mag, ueber die ich vor zehn Jahren erste Kontakte zu einer mir bis dahin fremden Behindertenwelt bekam und die mich dazu gebracht hat, DGS zu lernen 🙂