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Strippen ziehen

Nach einigen Wechseln in der Belegung wohnen aktuell ueber 100 aus Syrien nach Deutschland gefluechtete Menschen in der provisorischen Unterkunft Keplerhalle, und seit zwei Monaten werden die dortigen Bewohner per Freifunk mit Internet versorgt. Leider jedoch mit nur einem einzigen Richtfunk-Uplink, der zudem immer wieder mal rummuckt.

Bildschirmfoto vom 2016-01-14 00:05:08

Um so cooler, dass sich am Wochenende eine weitere Studi-WG im direkten Umfeld der Halle gefunden hat, die seit Dienstag einen (nach einer vorbildhaften Ulmerin benannten) gespendeten Router bei sich beherbergt. Damit dessen Signal auch in der Keplerhalle empfangen werden kann, musste ich gestern nochmal 50 Meter LAN-Kabel in der Halle verlegen – wofuer ich binnen einer halben Minute 10 Helfer hatte, die gemeinsam die Kabelrolle entwirrten und per Raeuberleiter das Kabel durch die ehemaligen Basketballkorb-Halter faedelten.

Sitzt am suedlichen Hallenfenster und beleuchtet ausserdem die Tramhaltestelle: Kepler3-WR841ND. Man beachte den Billig-PoE-Injector.

Sitzt am suedlichen Hallenfenster, vernetzt ueber die Strasse zu ResiWeglein-WR841ND und beleuchtet ausserdem die Tramhaltestelle: Kepler3-WR841ND. Man beachte den Billig-PoE-Injector.

Nach anfaenglichem Schluckauf und Neuverlegung zweier Kabel ist die Halle nun redundant und mit doppelter Bandbreite ans Internet angeschlossen – leider jedoch immer noch mit nur maximal 20 Mbit/s, die sich die zwischen 50 und 70 eingeloggten Clients teilen muessen. Als interessanter Nebeneffekt ist nun auch die Haltestelle Justizgebaeude mit Freifunk versorgt – was ein zweischneidiges Schwert ist, da etwaige dort eingeloggte Clients ebenfalls zur Netzlast beitragen. Ich habe vom Freifunk-Unterstuetzungsverein das Go bekommen, mit besseren Antennen und ggf. staerkerer Hardware die Anbindung noch etwas robuster zu gestalten.

Redundanz. Deutlich sichtbar: Kepler1-WR841ND nimmt die meisten Clients auf.

Redundanz. Deutlich sichtbar: Kepler1-WR841ND nimmt die meisten Clients auf, und LAN-Kabel sorgen fuer Vernetzung im gruenen Bereich.

This is The Internet™

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Ich moechte helfen

Prima! Wenn du – egal wo in Ulm und Umgebung – zum Freifunk-Netz beitragen moechtest, kontaktiere die Freifunk-Gruppe, oder mich direkt. Wenn du ein Cafe, einen Laden, sonst eine Einrichtung in und Ulm kennst, die fuer ihre Kund_innen freies Internet ueber Freifunk anbieten moechte, genauso. Und der Freifunk-Unterstuetzungsverein freut sich ueber jede Spende, die er bekommt.

Lessons learned

Mit der Verkabelung des dritten Routers ist das Netz in der Keplerhalle nun endlich so ausgelegt, wie wir das eigentlich von Anfang an vorhatten:

  • Die drei Router (841ND) sind per Mesh-on-LAN miteinander vernetzt und funken jeweils auf verschiedenen, nicht ueberlappenden Kanaelen (1, 6, 11). Somit verteilen sich die Geraete halbwegs auf die einzelnen Router
  • Nur der direkt ueber die Olgastrasse hinweg meshende Knoten ist mit aktiviertem Mesh-on-WLAN auf Kanal 1; den mit der Nanostation-Richtfunkstrecke verbundenen werde ich mittelfristig auch ins Halleninnere verlegen und Mesh-on-WLAN deaktivieren. Das sorgt fuer mehr Freifunk-Airtime.

Folgende Erkenntnisse koennten vielleicht fuer Nachahmer_innen interessant sein:

  • Stromversorgung kann ein Problem sein. Hinten in der Halle gibt es keine einzige funktionierende Steckdose, vorne sind sie rar. Dreifachsteckdosen und Billig-PoE-Injektoren (ca. 2–4 EUR pro Stueck) sind eure Freunde. Klappt bei den 841ND auch ueber ein 50-Meter-Kabel.
  • Unterschaetzt die Kabellaengen nicht. Das 50-Meter-Patchkabel war letztlich ziemlich exakt 5 Meter zu kurz, um es an der Hallenwand entlang bis ins Buero zu fuehren. Abhilfe schaffte etwas wilde, direkt gespannte Verkabelung von Basketballkorbhalter zu Gelaender. Kabel-Kabel-Kupplungen zum Aneinanderstueckeln sind problematisch, wenn PoE-Injektoren verwendet werden (fuehrte zu Reboot-Cycle)
Wilde, freie Verkabelung (Symbolbild)

Wilde, freie Verkabelung (Symbolbild)

  • Man kann selten genug Gaffa und/oder Kabelbinder haben
  • Vielleicht ist es kein Fehler, die Router einzuhausen oder die Kabel wahlweise mit Aufkleberchen zu versehen, wo sie hingehoeren, oder gleich festzutapen. Ich belege den Switch der 841ND in der Regel der Reihe nach so: LAN – Mesh – Mesh – Freifunk (letzteres zum Testen per Kabel). Wenn nun der Uplink ausfaellt und der per Kabel in die vermeintliche LAN-Buchse 2 anstelle des Uplinks gesteckt ist, verleitet das offenbar Leute dazu, den (Mesh-)Uplink in die WAN-Buchse zu stecken. Ich habe jetzt „einfach“ mal auch die WAN-Buchse mit Mesh belegt – was nichts dagegen half, dass jemand mit dem Ubiquiti-Poe-Injektor einen armen 841ND bebrutzelt hat…
  • Und, ultrawichtig: Testet euren geplanten Aufbau so gut und umfangreich es geht „trocken“ zuhause, und zwar in moeglichst allen Facetten. Tauschgeraete sind kein Fehler, um mal kurzzeitig Testkonfigurationen auszuprobieren, ohne gleich den einzigen Uplink lahmzulegen. Die Leute bauen auf euch.

Freifunk fuer Gefluechtete in Ulm

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Waehrend die Stadt nun nach langer Zeit endlich geschafft hat, fuer sage und schreibe 205.000 EUR Investitionskosten „freies“ WLAN an vier Punkte der Stadt zu bringen, waren viele Gefluechtete in den Ulmer Unterkuenften immer noch vom Internet abgeschnitten – Abhilfe schafften da bislang nur freie Hotspots bei diversen Schnellrestaurants und Freifunk-Knoten wie der am Muensterplatz.

Der sehr aktive Blaubeurer Teil der Ulmer Freifunk-Community hatte sich vor diesem Hintergrund wohl schon sehr frueh an die Geschichte mit Mohammed und dem Berg erinnert, und einfach umgekehrt Freifunk-Knoten in die dortige Unterkunft gebracht. Da die Kommunen offenbar keinen eigenen Internetanschluss fuer die Unterkuenfte stellen koennen, wurden kurzerhand nach Absprache mit  dem Landratsamt Freifunk-Router in die Unterkunft getragen, die von bis zu drei Funkstrecken von ausserhalb mit Internet versorgt werden.

In Ulm mahlten die Muehlen dagegen deutlich langsamer. Erst nach Intervention des Eskalationsbeauftragten in der Stadtverwaltung gab es gruenes Licht, ueberhaupt Router in den Gebaeuden einstecken zu duerfen – und dann ging alles ganz schnell.

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Nach einem Rundruf ueber die Ulmer Freifunk-Mailingliste fanden sich innerhalb kuerzester Zeit mehrere Leute, die bereit waren, substanzielle Summen an den Freifunk-Unterstuetzungsverein zu spenden, damit die notwendige Hardware beschafft werden konnte. Dezentral entstand eine Beschaffungsliste, und in der letzten Woche troepfelte nach und nach ein ganzer Haufen Material bei mir ein. Denn ich war der naechstgelegene Mensch aus der Community, der Sichtkontakt zur Unterkunft Keplerhalle hat – wenig mehr als 200 Meter sind es von unserem Dach bis zur Halle.

IMG_20151114_172804082Heavy Lifting fuer die Strecke uebernehmen zwei Ubiquity Nanostation M5, die aus den Spenden bestellt wurden, und als Wireless Bridge eingerichtet sind, d.h. sie verhalten sich quasi wie ein Netzwerkkabel. An meinem Ende haengt die Nanostation hingetuedelt professionell unter dem Dach; per LAN-Kabel und via PoE-Injektor ist sie dann an einen auf Meshing konfigurierten LAN-Port meines etwas schwachbruestigen (841N) Freifunk-Routers angeschlossen.

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Hallenseitig hatten wir uns erst Konstrukte mit Mast auf Flachdach und Kabeldurchfuehrungen durch Fensterrahmen ausgedacht. War alles aber gar nicht noetig – die Nanostation hatte schon Funkkontakt, wenn ich sie nur halbwegs hinter dem Fenster in Richtung meines Hauses ausgerichtet hatte. Also kam der Mast gestern abend kurzerhand einfach auf das Fensterbrett – reicht.

IMG_20151114_172719760Von der Nanostation geht dann das ganze 1:1 umgekehrt wie bei mir daheim: LAN-Kabel per Mesh-on-Lan in den Router „Kepler1“, und weil gestern abend kein passendes Kabelmaterial fuer Hallenverkabelung da war, steht „Kepler2“ einfach innerhalb der Halle und vermesht sich per WLAN. „Kepler3“ sollte eigentlich noch an das andere Hallenende, der Zugang zum passende Ort ist aber momentan etwas abenteuerlich.

Was prima ging

  • Richtfunk per Nanostation ist ein Traum. Kein Vergleich zu Konstruktionen mit Consumer-Plasteroutern
  • Als das Gruenlicht erstmal von der Stadt gekommen war, war alles kein Problem mehr. Die Sicherheitsleute in der Unterkunft waren gerne bei allem dabei, was wir machen wollten – sicher nicht ganz uneigennuetzig 😉
  • noch viel beeindruckender: Wie zwar teilweise chaotisch, aber schnell und selbstlos alle moeglichen Leute dezentral zusammengearbeitet haben, um das Material auszusuchen, zu finanzieren und zu bestellen!

Was noch besser geht

  • Momentan laeuft alles ueber unseren WG-Internetanschluss, der nicht der allerschnellste ist. Weitere Versorgungspunkte in der Umgebung bedeuten mehr Ausfallsicherheit
  • Der gesamte Traffic laeuft ausserdem ueber den einen, schwachen Plasterouter, der gar nicht mehr hinterherkommt, die Verbindungen zu verschluesseln. Das limitiert die maximale Datenrate auf etwa 3 Mbit/s
  • die Router in der Halle wuerde ich gerne noch per Mesh-on-LAN untereinander verkabeln, um das Netz zu stabilisieren und mehr Durchsatz zu ermoeglichen
  • Wenn die offenporigen Dachpfannen nass sind, geht die Verbindungsqualitaet runter. Dank der Nanostations ist das aber ein Luxusproblem, das heisst dann 10 Mbit/s statt 100 😉
  • Ab und zu bricht die Verbindung zur Halle aber auch einfach mal weg. Mein Router gibt an, noch einen lokalen Nachbarn zu haben, aber auf der Karte ist nichts zu sehen, und es laeuft auch kein Traffic mehr durchs Netz. Ursache ist unklar.

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Nicht zuletzt wuerde ich auch gerne die Unterkunft in der Roemerstrasse wieder ans Netz bekommen. Dem dort wohnenden Vorsitzenden des „Menschlichkeit“-Vereins hatte ich schon vor einigen Wochen zwei Freifunk-Router vorbeigebracht – dann lief aber sein Internetvertrag aus, und seither sitzen die Leute dort wieder auf dem Trockenen. Sollte die Unterkunftsleitung mitmachen und wir noch einmal Spenden an den Verein zusammenbekommen, koennte aber Nitek eventuell eine Richtfunkstrecke aufbauen – vom Eselsberg auf den Kuhberg, ueber 3,7 Kilometer ueber das Blautal hinweg 😀