Archiv für den Monat: Oktober 2014

Links 2014-10-17

The Cartographer who’s Transforming Map Design – Feature ueber Cindy Brewer, der Erfinderin von Color Brewer. (via)

Praktische Pirouetten — ein taz-Feature ueber Andreas Schildbach, den Entwickler hinter „Oeffi“

Durchschnittlich 40 Stunden die Woche arbeitet Andreas Schildbach an „Öffi“ und einer weiteren Anwendung zum mobilen Bezahlen mit der Digitalwährung Bitcoin. Ehrenamtlich: Geld verdient er damit nicht. Bei ihm gibt es keine In-App-Verkäufe, er schaltet auch keine Werbung. Manchmal bekommt er Spenden, seltener arbeitet er nebenher an anderen Projekten, für die er bezahlt wird. „I am currently not available“ steht auf seiner Homepage, die ihn als Diplom-Informatiker ausweist.

When Women stopped Coding — Ein Blick auf den dramatischen Einbruch der Anfaengerinnenzahlen in der Informatik Anfang der 1980er:

A lot of computing pioneers — the people who programmed the first digital computers — were women. And for decades, the number of women studying computer science was growing faster than the number of men. But in 1984, something changed. The percentage of women in computer science flattened, and then plunged, even as the share of women in other technical and professional fields kept rising.

What happened?

We spent the past few weeks trying to answer this question, and there’s no clear, single answer.

But here’s a good starting place: The share of women in computer science started falling at roughly the same moment when personal computers started showing up in U.S. homes in significant numbers.

How to become a programmer, or the art of Googling well (via)

Die haben uns belogen – mir war nicht bewusst, dass das Junk-Food-Onlinebestellbusiness so ein umkaempftes Feld ist.

Alte Ulmer Straßenbahnen in Rumänien — Mehrere Fahrzeuge der alten Ulmer GT4 fahren dort noch mit Original-DING-Aufkleber und Linienverlaufstafeln herum 🙂

The Horrors of a Secure Golden Key – Warum Kryptographie nur dann auch halbwegs sicher ist, wenn die Hersteller (und damit mittelbar die Strafverfolgungsbehoerden) eben keinen „Generalschluessel“ haben, um trotzdem Zugang zu bekommen:

Threat #4. It Protects You From the future
This is the greatest threat of all.

Our cloud data is stored for eternity, not the moment. Legislation and company policy cannot guarantee backups are destroyed. Our government may change, and what qualifies as a „lawful“ warrant tomorrow might be illegal today. Similarly, your eternal data might be legal today and a threat tomorrow.

Mir fehlt bei dem Artikel aber noch die logische Konsequenz: Geheimdienste abschaffen. Heute noch.

Douchebag – the white racial slur we have all been waiting for – unterhaltsame Lektuere; wenn schon nicht bei der Schlussfolgerung, dann beim Einstieg.

Kriegsnagelungen – heute absurd wirkendee Folklore im ersten Weltkrieg, die mir bis vor kurzem unbekannt war. Yay, „Zufaelliger Artikel“-Funktion!

Anstrengungsfreier Nahverkehr – aber nur um den Preis der Anonymität

Frueher. War manchmal schon auch gut, aber nicht alles besser.

Frueher. War manchmal schon auch gut, aber nicht alles besser.

Seit ich zu studieren angefangen habe, lande ich mehrmals jährlich in irgendwelchen deutschen Städten, vor allem in Berlin –  um Freunde zu besuchen, Konferenzen und BarCamps zu besuchen, oder (wie häufig im Falle Berlins) um als Endpunkt irgendwelcher Urlaubs-(Tramp-)Reisen zu dienen. Und wann immer ich in Berlin – oder einer beliebigen anderen größeren Stadt, in der ich mehr als nur ein paar Tage verbringen werde – ankomme, werde ich mit der immer gleichen, nervigen Frage konfrontiert:

Welches Nahverkehrsticket soll ich nur kaufen?

Das klingt jetzt vielleicht ein wenig lachhaft. Und für jemand mit einem etwas weniger knapp gestrickten Budget, oder für Leute, die nicht ganz so auf Optimierung im Allgemeinen und optimalen Nahverkehr im Besonderen abfahren wie ich, ist das sicherlich auch eine lächerliche Frage. Ich halte das aktuelle Abrechnungsprinzip (nicht nur) im deutschen Nahverkehr aber für eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einem möglichst anstrengungsfreien Nahverkehr – weil man sich im Vorhinein aussuchen muss, wie häufig man den ÖPNV nutzen wird.

Exkurs: „Anstrengungsfrei“ heißt, alle mentalen oder physikalischen Barrieren beim Zugang zu öffentlichem Nahverkehr auf ein Minimum zu reduzieren. Das heißt beispielsweise eine enge Taktung (→ geringe Wartezeiten), saubere und klimatisierte Fahrzeuge, so einfache und angenehme Fahrplan- und Reiseinformationsabfragen wie irgendwie möglich, oder sogar die Minimierung empfundener (sic!) Wartezeiten, indem Echtzeit-Abfahrtsinformationen an Haltestellen bereitgestellt werden. Weitere Beispiele hierzu in der Arbeit von Katrin Dziekan.

Beispiel: Welches Ticket kaufe ich für eine Woche re:publica?

In Berlin habe ich beispielsweise zwei halbwegs sinnvolle Optionen, den dortigen (IMO hervorragenden) Nahverkehr zu benutzen. Eine Wochenkarte für die Tarifzonen AB kostet mich momentan 28,80 EUR und erlaubt mir eine unbeschränkte ÖPNV-Nutzung während dieser Zeit. Einzelfahrscheine kosten mich im Viererpack je 2,20 EUR – und ich kann übrig gebliebene Tickets immer einfach fuer den naechsten Berlinaufenthalt mitbringen (mit Vier-Fahrten-Karten Kurzstrecke lässt sich das dann noch für kürzere Fahrten supplementieren)

fahrscheine

In einer perfekten Welt wüsste ich natürlich schon vorher, wie häufig ich das Nahverkehrssystem einer Stadt verwenden werde – und für Berlin funktioniert das sogar mittlerweile halbwegs gut: Ich habe ein Gefühl für die Stadt bekommen, was mir erlaubt, grob abzuschätzen, wie häufig ich zu Fuß unterwegs sein werde und wann ich Bahn, Tram und Bus benutzen muss oder möchte. Falls ich nicht mehr als 13 Fahrten während meines Aufenthalts machen werde, komme ich mit Vier-Fahrten-Karten günstiger davon; falls ich vermutlich häufiger unterwegs sein werde, kaufe ich mir die Wochen-Umweltkarte.

Das funktioniert jedoch nur, wenn auch alles so abläuft, wie geplant. Einmal habe ich mehr Geld für Vier-Fahrten-Karten verbraten, als eine Umweltkarte gekostet hätte – bierselige Nächte sind in Berlin einfach nicht vollständig, wenn man nicht die Hälfte davon in der S- oder U-Bahn verbracht hat 😉
Andersherum geht das natürlich genauso. Vermeintlich meine Lektion gelernt habend, kaufte ich mir eine Wochenkarte – und verbrachte die Zeit hauptsächlich mit Leuten, die ebensowenig ein Problem mit langen Wanderungen durch eine Stadt hatten wie ich. Letztendlich kostete so jede tatsächlich gemachte Fahrt ganze 4,80 EUR. Nunja.

Die Idiotie dieses Systems ist seine absolute Unflexibilität, und der Grund dafür liegt in der Abrechnungsmodalität über anonyme Papierfahrscheine. Sobald ein Ticket entwertet und benutzt ist, existiert es praktisch nicht mehr: Das Geld ist ausgegeben, der Fahrschein verbraucht, die Kosten versunken. Falls ich tagsüber meine vierte Fahrt des Tages antrete, kann ich nicht einfach die drei zuvor benutzten Tickets aus der Hosentasche ziehen und sie gegen eine rabattierte Tageskarte eintauschen – die benutzten Tickets haben ja keinerlei Wert mehr.

Aus Sicht eines Verkehrsbetriebs oder -verbunds ist dieses System natürlich vollkommen nachvollziehbar und sinnvoll. Wer kann denn schliesslich beweisen, dass ich diese drei Fahrscheine nicht kurz vorher aus dem Abfalleimer eines U-Bahnhofs gezogen habe? Und selbst wenn das kein Problem wäre, bräuchte das Verkehrsunternehmen entweder passendes Equipment oder entsprechend Personal, um die Einzelfahrscheine zur Tageskarte „aufzuwerten“. Wer würde so etwas denn machen?

Naja, Transport for London zum Beispiel. Der Londoner Verkehrsverbund hat die altbekannten Papierfahrscheine zugunsten elektronischer Geldbörsen abgeschafft, und die Anonymität der Papierfahrscheine durch (maximal) Pseudonymität ersetzt.

Und aus Passagiersicht ist es das auch vollkommen wert.

Das Oyster-System von TfL

By Frank Murmann (Own work) [GFDL or CC-BY-3.0], via Wikimedia Commons

Oyster Card. By Frank Murmann (Own work) [GFDL or CC-BY-3.0], via Wikimedia Commons

Ich habe Oyster zum ersten Mal bei einem London-Trip 2007 ausprobiert, und war sofort angetan vom Konzept. Gegen ein Pfand von aktuell 5 GBP gibt es eine RFID-basierte Pay-As-You-Go Oyster Card, die dann an Automaten mit Geld aufgeladen werden kann.

Um eine Tube-Station zu betreten, wird dann die Karte an die Personenvereinzelungsanlage am Eingang gehalten, und am Ende der Reise wird auf dieselbe Art und Weise am Ausgang wieder ausgecheckt. Analog gibt es Kontaktpunkte in Bussen, oder auf Bahnsteigen „regulärer“ Eisenbahnlinien, so wie die an vielen DB-Bahnhöfen versteckten Touch and Travel-Kontaktpunkte.

[Public domain], via Wikimedia Commons

See page for author [Public domain], via Wikimedia Commons

Der meines Erachtens beste Clou des Systems ist aber nicht die Kostenersparnis durch den reduzierten Preis gegenüber klassischen Papierfahrscheinen, oder die zigtausenden Fahrscheine, die nicht gedruckt und weggeworfen werden, sondern die Fahrpreisdeckelung: Egal wie viele Fahrten an einem Tag unternommen werden, es wird niemals mehr als der Preis einer Tageskarte abgebucht werden. Das entspricht der Idee, nach der n-ten Fahrt eines Tages die bisher bezahlten Kosten von Einzelfahrscheinen auf ein Upgrade zu einem Tagesfahrschein anrechnen zu können — was natürlich nur geht, wenn nachvollzogen werden kann, dass diese Fahrscheine nicht etwa von anderen Passagieren erschnorrt oder aus dem Muell aufgelesen wurden.

Die Oyster-Karte ist dabei nicht einmal personengebunden: Genau wie eine reguläre Tageskarte übertragbar ist, kann auch die Oyster-Karte weitergegeben werden, so dass sich das Upgrade auf eine Tageskarte auch wirklich lohnt — was dann aber implizit passiert, sobald auch wirklich genügend Fahrten benutzt wurden. Die vorherige Überlegung, ob man auch wirklich die erkaufte Leistung auch ausreizt, entfällt. Eine mentale Hürde weniger!

Aber der Datenschutz!

Ja, der Datenschutz. Die Oyster-Karte ist nicht anonym, sondern maximal pseudonym: Zwar kann die Karte nur dann eindeutig an eine oder mehrere Personen gebunden werden, wenn die Aufladung per Kreditkarte erfolgt; die Speicherung vergangener Fahrten ist aber systeminhärent und kaum zu umgehen. Das reicht in Deutschland üblicherweise, um mindestens ein Unwohlsein zu verursachen; in der Regel wird die vereinte Front der Datenschützer_innen dann auch Menetekel von Totalüberwachung und gläsernen Passagieren an die Wand zu malen.

Und tatsächlich, in Cory Doctorows Jugendroman Little Brother gerät der Protagonist wegen seiner vom üblichen Muster abweichenden Mobilitätsnutzung des BART-Systems ins Visier der repressiven Regierung, gegen die er ankämpft (das Buch steht unter Creative-Commons-Lizenz, Fundstelle ist Seite 100 ff.)

Kein Wunder also, dass Versuche, die VDV-Kernapplikation als solch ein Zahlungssystem  in deutschen Verkehrsverbünden zu etablieren, auf Widerstand stoßen. „Der ueberwachte OPNV“ sei das, und impliziert wird, dass wir uns damit einer totalitären Kontrolle über unser Leben aussetzen.

Ich habe mit dieser Argumentation zwei Probleme. Erstens übersieht sie — wie so oft — die Machtfrage: Wer kann durch die bloße Verfügbarkeit von Mobilitätsdaten den Passagieren gegenüber Macht ausüben? Die Verkehrsverbünde und -unternehmen? Wohl kaum. Allenfalls einem repressiven Staat und seinen Organen billige ich das Vermögen zu solchem Handeln zu — und in dem Fall liegt das Problem im repressiven Staat begründet. Der geht aber auch von Papiertickets nicht weg.

Die Zukunft vernetzter Mobilitaet

von Julian Herzog (Eigenes Werk) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) oder CC-BY-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

von Julian Herzog • [more photography on my website] (Eigenes Werk) [GFDL oder CC-BY-3.0], via Wikimedia Commons

Zweitens lässt diese Papierfahrscheinromantik außer Acht, wie sich Mobilität in der Zukunft weiterentwickeln wird. Car2Go hatte in Ulm immerhin (ohne große Feierlichkeiten) seinen sechsten Geburtstag, und hat mit seinem von manchen Bike-Sharing-Modellen abgeschauten Free-Floating-Konzept und minutengenauer Abrechnung den Markt deutlich aufgerüttelt. Uber rüttelt noch heftiger, momentan ohne dass man vorhersagen könnte, welche mittelfristigen Folgen das für den Taximarkt hat. Und selbstfahrende Autos fahren immerhin schon als Versuchsträger durch die Ulmer Straßen.

Interessant wird vor allem werden, wie sich solche verschiedenen Verkehrsmodalitäten künftig mit klassischem ÖPNV verknüpfen lassen. Beispielsweise, indem Free-Floater, Bikesharing oder gar selbstfahrende Autos nicht etwa mit Bus und Bahn konkurrieren, sondern diese ergänzen — durch Spezialtarife nach Betriebsschluss des klassischen ÖPNV, zum Beispiel. Oder indem das klassische Ticket in das NFC-System des Smartphones integriert wird, das die Vorbestellung von Anrufsammeltaxis oder Rufbussen am Ende einer Reise in den ländlichen Bereich gleich miterledigt.

Der DING ist einer der Verbünde, die hier mit dem „Ticket2Mix“ einen bescheidenen, für Verhältnisse deutscher Verbünde aber schon beinahe revolutionären Anfang machen: Neben der regulären Monatskarte sind auch Freiminuten bei drei Carsharing-Anbietern in Ulm und Umgebung im Ticketpreis enthalten. Das entfaltet noch lange nicht das Potenzial, das in RFID-Fahrscheinen steckt, aber gibt zumindest einen winzigen Vorgeschmack auf das, was möglich wäre.

Aber eben nur, solange ein reibungsloser und attraktiver Nahverkehr und die damit verbundenen Folgen für Lebens- und Wohnqualität nicht als weniger wichtig angesehen werden, als dass er unbedingt anonym zu benutzen wäre.

Randnotiz: VDV-Kernapplikation und die in Deutschland getesteten Prototypen haben allesamt ihre Macken und Probleme, insbesondere bei der Usability. Mir geht es aber um das Grundprinzip dahinter, und den Widerstand gegen das System allein aus dem Standpunkt heraus, dass Datenschutz schwerer wiege.

Nachtrag vom 2014-10-20: Der Titel dieses Artikels endete ursprünglich mit „verhindert durch Datenschutz“. Das ist vermutlich irreführend gewesen, denn tatsächlich gibt es mit Touch und Travel ja ein vergleichbares System (wenngleich hier umgekehrt als bei Oyster aktive Endgeräte und passive Berührpunkte verwendet werden), und es gibt keine mir bekannten datenschutzrechtlichen Bestrebungen, vergleichbare Ticketingsysteme zu verbieten oder einzuschränken. Gemeint war der Artikel insbesondere als Replik auf den verlinkten Blogartikel, in dem vom überwachten Nahverkehr die Rede war, und sämtliche anderen Horrorvisionen einer komplett überwachten Gesellschaft. Der Zyniker in mir würde ein verbundübergreifendes intelligentes Ticketingsystem ohnehin zunächst an den Verbünden und dem VDV und danach an einer Vergabe an T-Systems oder Siemens scheitern sehen 😉

Linkschleuder von 2014-10-15

Why Nerd Culture must die

It was nerd culture that brought us together, and their support was life-saving, but they were hard to find, and we were still way outside the cultural mainstream.

Over the last decade, that’s changed. Comic book adaptations are the safest bet in Hollywood. Lord of the Rings and Game of Thrones have made fantasy something anyone can enjoy without embarrassment. Perhaps most importantly, nerds now have money, power, and status. The biggest, fastest-growing companies in the world are run and staffed by us, and mainstream culture has shifted from mocking us to respect. Startups are sexy. We’ve won.

And that’s where the problem lies. We’re still behaving like the rebel alliance, but now we’re the Empire. We got where we are by ignoring outsiders and believing in ourselves even when nobody else would. The decades have proved that our way was largely right and the critics were wrong, so our habit of not listening has become deeply entrenched. It even became a bit of a bonding ritual to attack critics of the culture because they usually didn’t understand what we were doing beyond a surface level. It didn’t used to matter because nobody except a handful of forum readers would see the rants. The same reflex becomes a massive problem now that nerds wield real power. GamerGate made me ashamed to be a gamer, but the scary thing is that the underlying behavior of attacking critics felt like something I’d always seen in our culture, and tolerated.

»Stirb, Du Hure!« – Lasst uns endlich über Einschüchterungskultur statt abstrakter Netzpolitik reden

In den letzten Monaten rückt die Kommunikations- oder besser: Einschüchterungskultur im Netz wieder verstärkt in den Vordergrund. Das ist gut, denn dieses Thema wird weiterhin im netzpolitischen Diskurs nahezu vollständig ignoriert oder beiläufig als Randnotiz erwähnt. Dabei leiden viele Menschen psychisch jeden Tag unter Attacken aus dem Netz.

Mit viel weiterem Lese- und Sehstoff, u.A. zur von Linus Torvalds gepflegten „Kultur“.

ueberleitend…

How to Code Review without being a Jerk – wie Linus Torvalds seine Nachrichten verfassen koennte, ohne Leuten dabei vorzuschlagen, sich nachtraeglich abtreiben zu lassen.

Anders machen? Kat Hagan hat Vorschlaege am Ende ihres Artikels Ways Men In Tech Are Unintentionally Sexist, der sich meines Erachtens auch gut als Primer fuer Neulinge eignet, die sich bislang fragten, „was denn das Problem sei“ – dank Erklaerungen wie dieser hier:

We have all internalized harmful stereotypes about women — it’s part of growing up in a culture that inculcates gender roles from a very early age. Our culture has deeply-embedded patriarchal power structures (ditto racist and classist and ableist and transphobic and homophobic and so on…) that we all absorb and have to intentionally question and deprogram. We all, regardless of our background or our conscious beliefs, have implicit biases that affect the way we see the world.

„Aber ich habe doch gar keine Vorurteile!“

Wirklich?

Dann mach doch mal einen dieser Impliziten Assiziationstests, rangierend von Hautfarbe ueber Geschlecht bis zu Koerpergewicht.

Der oben genannte Test ist eine Empfehlung des Scienceblog-Artikels „Gleichstellung – längst überflüssig?“, der unter anderem auch Stereotype Threat und die Ambient-Belonging-Studie von Cheryan et al [PDF] ins Feld fuehrt.

Das Migazin fuehrt deutlich vor Augen, welche Folgen diese impliziten Assoziationen fuer dunkelhaeutige Schueler_innen haben. Klingt erschreckend, ist aber nur die Spitze des Eisbergs:

Rassismus an Schulen ist nicht nur ein individuelles Problem. Es ist vor allem ein strukturelles Problem. Will heißen, Rassismus sitzt, wie auch in der deutschen Gesellschaft, als Geschwür tief im System. Und genau wie außerhalb der Schule, kommt dieser Rassismus häufig unbewusst, naiv oder gar lächelnd einher. Das heißt, natürlich gibt es den Lehrer Herr Blödwurst, dessen Markenzeichen offen rassistische Sprüche sind. So wie der PW-Lehrer eines Teenagers aus meinem Workshop: „Nun wollen wir den Bimbos da unten doch mal zeigen, wo es langgeht.“

Aber die meisten Lehrer halten sich für überzeugte Nicht-Rassisten, wollen gute und vor allem faire Menschen sein. Das verstehe ich. Die Krux sitzt im Kleingedruckten. Rassistisch sozialisiert sein oder an strukturellem Rassismus teilhaben, ist etwas anderes, als offen rassistisch zu sein. Letzteres bezieht sich auf Menschen, die wir in dieser Gesellschaft in die rechte Ecke packen. Von denen wollen sich die meisten klar distanzieren. Und das ist auch gut so. Bei rassistischer Sozialisierung geht es um eigene rassistische Denk- und Gefühlsmuster, die wir von klein auf verinnerlicht haben. Diese Sozialisierung findet sich in der Art, wie wir sprechen, in den Büchern, die wir lesen, in den Medien, die wir konsumieren, in den Witzen, die wir machen. Und sie befindet sich dementsprechend auch in den Systemen, die wir kreieren.

Sage noch einer, ueberkommene Begriffe aus Kinderbuechern redigieren sei „Zensur“.

 

Refugium

„Die Politik ist die Unterhaltungsindustrie der Wirtschaft“ – konsequent also, dass im neuen Stück von Michael Sommer die Protagonist_innen Roth und Mahler das Fluechtlingsproblem auf die ihnen naechstliegende Weise loesen wollen: Als Firma „Refugium” naemlich, die die sichere und garantierte Einreise in die EU verkauft, an Frontex, Zaunanlagen mit NATO-Draht und Beschuss vorbei.

Der Clou: Jeder bezahlte Passagier ermoeglicht einer weiteren Person die kostenlose Schleppung nach Europa. Illegale Einreise mit menschlichem Antlitz, quasi – oder zumindest der Versuch, die Unmenschlichkeit der Festung Europa und der hinter ihr stehenden Regierungen ein wenig auszugleichen. Ein Kapitalismus mit menschlichem Antlitz muss dagegen wohl erst noch erfunden werden – und so ueberschlagen sich die Ereignisse, als nacheinander mehr Rendite fordernde Investoren, Nebengeschaefte der Schlepper vor Ort und Nebeninteressen von Mahler ueber „Refugium“ hereinbrechen.

Foto: Hermann Posch

Foto: Hermann Posch

Das Buehnenbild mit leeren, weissen Kanistern funktioniert erstaunlich gut, um im Podium des Theaters Firmen-Bueroraeume gleichermassen entstehen zu lassen wie Skype-Konferenzen zwischen Schleppern und Geschleppten, Firma und „Aussenstellen“. Ohne grosse Ablenkung entsteht so ein Stueck, in dem die Handlung wirken kann – und das tut sie.

Immer wieder wird die Schauspielhandlung durch Passagen unterbrochen, in denen die vier Darsteller_innen nebeneinander stehend, ins Publikum starrend, monologisieren – und dabei mehrfach zwischen Erzaehlstraengen wechseln. Dem ist nicht immer leicht zu folgen, und Freunde klassischer Brokat-und-Gold-Theaterinszenierungen haben daran nicht unbedingt viel Freude – sorgt aber fuer beklemmende Gefuehle, wenn sich die Geschichten der europaeischen und der aussereuropaeischen Welt immer wieder verflechten. Meist bei Konsumgut: Den Waren, die wir hier in der EU tagtaeglich konsumieren, ohne darueber nachzudenken – und den Bedingungen, unter denen Gemuese und Fruechte angebaut und handelsreif gemacht werden. Oder bei dem Paar Turnschuhe, dessen mehrfaches Recycling es zuerst aus der EU und dann entlang der Fluechtlingsroute wieder in Richtung EU fuehrt. Aber eben nicht wieder hinein.

Diese Textstellen sind unter Anderem in Interviews mit tatsaechlich Gefluechteten entstanden, vermittelt durch die Ulmer Amnesty-Gruppe und den Fluechtlingsrat. Mir wurde spaetestens bei der Schilderung eines Fluchtversuchs von Marokko auf eine der spanischen Exklaven gleich zu Eingang ein massiver Kloss in den Hals verpflanzt, der die ganze Vorfuehrung ueber nicht wieder weg ging. Und die rasiermesserscharfen Stacheldrahtverhaue an den EU-Aussengrenzen sind weder die erste noch die letzte lebensgefaehrliche Huerde auf der Flucht in die europaeische Festung.

Ich bin gespannt, wie dieses Stueck auf Menschen wirkt, die nicht selbst im Thema sind. Bitte schaut es euch an, und schickt vor allem eure Eltern hin.

Offenlegung: Ich wurde zur Urauffuehrung eingeladen. Meine Begleitung hat brav bezahlt 😉