Mein erster c3

Ich weiss nicht genau, wie es dazu kam, dass ich bislang noch nie auf einem Chaos Communication Congress war – vermutlich wegen der frueher immer so schnell ausverkauften Tickets, vielleicht aber auch wegen meiner etwas ambivalenten Einstellung zum CCC.

Weil mich diverse Leute auf Twitter unter anderem mit Schlafplatz und Rueckfahrmoeglichkeit ueberredet hatten, doch noch spontan hinzufahren, trampte ich also am 28. noch kurzentschlossen hin.

Duschen in der Post-Snowden-Aera

Es war wohl genau der richtige Zeitpunkt, zum ersten Mal auf den Congress zu gehen. Selbst die absurdeste Verschwoerungstheorie verblasste angesichts der Snowden-Enthuellungen – und die politischen Akteure, von der Bundesregierung bis zu den Menschen, mit denen man taeglich interagiert, hielten die Fuesse still. Selbst die schwaerzesten Ueberwachungsdystopien stellten sich als offenbar gar nicht einmal so weit hergeholt heraus – und kaum jemanden ausserhalb der Netzempoereria schien es zu interessieren. Auf einmal war das fundamentale Selbstverstaendnis der Hackerszene erschuettert, und gleichzeitig wirkte es so, als sei jegliche noch so absurde Ueberwachungsdystopie der breiten Masse relativ egal. @mspro, @343max, eine von beiden leider sehr haeufig nicht zu Wort gelassene @schwarzblond und @tante haben das im WMR76 besprochen, und letzterer fasst das auch noch einmal in seinem Blog zusammen:

Now it is very important to understand the situation that the scene is in: Snowden’s leaks have basically proven every lunatic conspiracy theory about surveillance to be true. Algorithms and technologies believed to be a working protection against secret services and their attention melted away like ice in the summer sun. The fundamental uniting beliefs of the hacker subculture were no longer valid: Hackers are not smarter than the NSA workers, the government does actually employ competent people (and provides them with the resources to get some work done) and technology will not save us. The whole hackers as high priests and superheroes of the digital age died faced with the reality of secret services with limitless resources. How do you react to that?

Es schien, als seien auf diesem Congress zwei Stroemungen vertreten gewesen. Die eine versuchte, die nicht-technische Seite der Snowden-Enthuellungen zu beleuchten: Wie Staatlichkeit, Dienste und Gesellschaft ineinanderhaken und selbst die beste Technik nichts nuetzt, wenn das Gegenueber™ unlimitierte Ressourcen hat, diese zu brechen. Sehr empfehlenswerte Vortraege hierzu fand ich No Neutral Ground in a Burning World, und fuer die historische Perspektive Policing the Romantic Crowd. Genauso passt auch Bullshit Made in Germany – als Realitaetscheck, wie politische Entscheidungsprozesse de facto laufen, und wie wenig das mit Sachverstand und Expertise zu tun haben muss, sobald man nur Macht hat.

Auf der anderen Seite finden sich nach wie vor Stimmen, die davon ueberzeugt sind, diese Probleme technisch loesen zu koennen. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Soeben haben die Snowden-Leaks gezeigt, dass wir es hier mit politischen und sozialen Problemen zu tun haben, das Gegenueber quasi unlimitierte Ressourcen hat und der breiten Masse die technischen Loesungen in der Praxis nicht taugen – und der Vorschlag sind weitere technische Loesungen. Das ging vom Vorschlag vollkommener Anonymitaet auch bei oeffentlichen Veranstaltungen bis zu Talks, deren Kombination von Technik-Experten-Ueberheblichkeit mit Politikagnostik mir koerperliche Schmerzen bereitete.

Ich weiss ehrlich gesagt auch noch nicht so recht, was ich davon halten soll, wenn auf derselben Veranstaltung Kryptographie und TLS fuer alles gefordert wird und im naechsten Talk hochgerechnet wird, fuer wie viel Grad Erderwaermung eingeschaltete Krypto in Smart Meters wegen des Energiemehrverbrauchs bei laufender Kryptographie sorgen wird. Aber es passt in das von mir wahrgenommene Selbstverstaendnis des Clubs: Man selbst gehoert zu „den Guten“, Die Anderen™ sind Die Boesen™. Die Anderen™ haben ausserdem keinen technischen Sachverstand, d.h. wenn Die Anderen™ tatsaechlich einmal die Methoden benutzen, die man selber vorschlaegt, ist das natuerlich auch nicht recht.

Das alles ist ein Grund mehr, warum ich mich ueber Seitenhiebe wie im (leider noch nicht online sehbaren) Vortrag von @evacide gefreut habe. Glen Greenwald hatte in seiner Keynote berichtet, wie er beinahe nicht an die Snowden-Materialien gekommen war, weil ihm der E-Mail-Verschluesselungsworkflow von PGP zu kompliziert und undurchschaubar war. Und wie er sich nach Anleitung in TrueCrypt eingearbeitet hatte und seine sich nach Spielereien damit angeeigneten Kenntnisse stolz Poitras und Snowden vorgefuehrt hatte – die dann lapidar meinten, „klar, das ist ja so entworfen, dass dein kleiner Bruder damit umgehen kann“. Mit der sinngemaess wiedergegebenen Botschaft von @evacide: “You can be good at what you’re doing, but there is no need to be a jerk about it”.

Vielleicht lernt das der CCC ja auch irgendwann.

(Ich wuerde mir ja einmal anstelle der immer noch schroecklicheren und furchtbareren Ueberwachungsdystopien tatsaechlich einmal eine Utopie als positiven Gegenentwurf wuenschen, auf die man zustreben kann. Und ich meine damit keine Worthuelsen und Allgemeinplaetze wie „Freiheit“. Danke nochmal an @tante fuer die gefuehlt 6h Quatschen in der Villa Straylight als Alternative zur Fnord News Show, die mir halfen, das Problem nochmal weiter geistig auszuformen.)

Nachgeplaenkel und Trampbericht

Um 1500 Uhr stand ich mit ausgestrecktem Daumen an der Tramphaltestelle. Um 2000 Uhr war ich ganze 100 km weiter bis zur Ellwanger Berge gekommen und hatte leichte Zweifel, ob ich angesichts der bis unters Dach vollbeladenen Urlaubsheimkehrer ueberhaupt noch nach Hamburg kommen wuerde.

Die Erloesung kam dann aber in Form eines Sprinters voller Balkan-Wurstwaren, dessen Fahrer gerade auf dem Rueckweg zu seiner Firma – in Hamburg – war. Fuer die naechsten 6,5 Stunden tuckerten wir also mit 120 km/h in Richtung Hamburg, unterhielten uns ueber seine Firma (die leider nicht mehr nach Ulm liefert), Studienbedingungen und Bierpreise in Skandinavien.

Und weil ich die letzten 2,5 Stunden den Sprinter bei stroemendem Regen selbst lenkte, waehrend mein Fahrer eine Muetze Schlaf nachholen konnte, durfte ich die Kiste nicht nur direkt vors CCH fahren, sondern bekam auch noch 1160 Gramm Wurstwaren geschenkt 😀 Vielen herzlichen Dank nochmal – und danke an muthan fuer die Uebernachtungsmoeglichkeit 🙂

Ausserdem: Was mich auch jetzt noch beeindruckt, sind das Ambiente und die Professionalitaet, mit der diese Veranstaltung abgewickelt wird. Gefuehlt drei Viertel der mir bekannten Leute, die ich traf, waren „Angel“ – also freiwillige Helfer, die trotz bezahlten Tickets dazu beitragen, dass der Congress gelingt. Sofakante beschreibt, wie sich das von ihrer Seite aus angefuehlt hat – mich beeindruckte vor allem der Respekt, der den „Engeln“ sowohl seitens der Gaeste als auch von der Organisation aus entgegengebracht wurde. Ein angenehmer Kontrast zur Helferarbeit bei der re:publica, fuer die man zwar freien Eintritt bekommt, aber selten Verantwortung.

Nachtrag: Noch mehr Ansehempfehlungen bei Anne Roth, samt Bildern der absolut wahnsinnigen Lounge.

2 Gedanken zu „Mein erster c3

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