Die Sache mit dem Ferngespraech

Ich besitze ein Telefon. Mehrere sogar. Ein schnurloses Telefon, das an der Uni, in der WG und bei meinen Eltern funktioniert, GAP und VoIP sei Dank. Und ein Mobiltelefon.

Nur: Ich telefoniere quasi nie.

Am haeufigsten wird eigentlich das schnurlose Telefon an der Uni benutzt, wenn man mal wieder irgendwo auf dem Campus unterwegs ist und schnell im BECI anrufen muss, oder die E-Techniker wissen wollen, ob man bei ihnen mit zu Mittag essen moechte. Hausinternes Geplaenkel eben, Sprechfunk etwas anders, ich mag’s. Wenn aber das Handy klingelt, verziehe ich unweigerlich das Gesicht. Weil es stoert.

Das liegt nicht am Klingelton, oder am Namen, der auf dem Display steht, sondern an der Situation. Es gibt quasi kaum eine Moeglichkeit, angerufen zu werden, ohne dass einen das Klingeln bei irgendeiner Taetigkeit stoert. Man kann ja einmal in sich gehen und sich ueberlegen, wie haeufig man denn selbst irgendwo herumsteht, gerade ueberhaupt gar nichts tut und sich denkt, „Ach, jetzt koennt ja mal jemand anrufen. Das waer eine nette Abwechslung. Nur rumstehen und nix tun ist naemlich auch grad eher fad.“

Stattdessen sitzt man im Bus und liest, oder man schreibt einen Artikel, oder liest einen Artikel, oder man ist im Kino, oder sonst irgendwo, und dann bringt einen irgendjemand dazu, das zu unterbrechen, andere Anwesende entschuldigend anzunicken und mit dieserirgendjemanden zu sprechen. Oder das Handy leise zu stellen, weil man’s natuerlich wieder vergessen hat, als man ins Kino ging, weil wer hat denn so etwas wichtiges mit einem auszumachen, dass sie einen anrufen?

Eltern, beispielsweise. Und das fuehrt durch langsame Konditionierung dazu, dass man auch in Zukunft unweigerlich das Gesicht verzieht, wenn das Handy klingelt. Nicht wegen der Eltern, nein. Ich tausch mich tatsaechlich gerne mit meinen Eltern aus, und das schreibe ich nicht nur, weil ich weiss, dass sie hier gelegentlich mitlesen. Das ist immerhin schon ein Anfang. Aber sie gehoeren noch zu der Generation, in denen man auch mal eben so zum Telefonhoerer greift, weil man schon so lang nichts mehr voneinander gehoert hat. Fuer die es vollkommen normal ist, dass jemand, der die Muehe auf sich genommen hat, persoenlich zu irgendjemanden an den Schreibtisch zu kommen, von ganz anderen Personen unterbrochen werden darf, die nicht einmal den Arsch aus dem Sessel bewegt haben, um eben diesen Schreibtisch anzurufen.

„Wir“, und ich wuesste jetzt nicht einmal, wie ich das eingrenzen sollte, kommunizieren asynchron. Per E-Mail, oder Messenger, oder sonst irgendwie. Die kann man dann bearbeiten, wenn es einem Recht ist, und im Idealfall geht es trotzdem schnell. Ein Telefon gibt es weiterhin, klar, aber das ist fuer die Faelle, in denen man etwas zeitkritisches sofort abwickeln muss. Und fuer die meisten Dinge, die man per Mail erledigen koennte, ist ein Telefonat einfach unpraktisch.

„Beim Xinedome gibt’s Kinogutscheindosen zum Sonderpreis, bring da doch mal zwei mit, waer das okay?“ — „Ja, Mama. Aber ich steh gerade im Theaterfoyer. Ich hab nix zu schreiben hier. Und ich muss da jetzt rein. Schickst du mir eine E-Mail?“ — „Ja, ich seh schon, ich stoere. Haette ja sein koennen, dass du mir einen Gefallen tun koenntest.“

Klar tu ich dir nen Gef… Mann, echt. Mailen koennen sie nicht, aber schlechte Gewissen ausloesen. Bis heute. Die New York Times hat einen Artikel ueber genau das Thema veroeffentlicht, und ich sehe mich endlich bestaetigt:

Phone calls are rude. Intrusive. Awkward. “Thank you for noticing something that millions of people have failed to notice since the invention of the telephone until just now,” Judith Martin, a k a Miss Manners, said by way of opening our phone conversation. “I’ve been hammering away at this for decades. The telephone has a very rude propensity to interrupt people.”

Und puff, weg ist es, das schlechte Gewissen. Ich bring gerne Gutscheindosen mit. Und auch Gefallen gibt’s von mir. Da kann man ja drueber reden. Aber nicht per Telefon. Und ich ueberlege mir gerade, einfach in Zukunft genau das Gegenteil der vielen hilfreichen Tipps aus How To Use A Telephone (von 1917!) zu verwenden :>

(Danke an @afborchert fuer den Link! und an @tante fuer das Telefonhandbuch)

6 Gedanken zu „Die Sache mit dem Ferngespraech

  1. Benjamin

    Neben der Asynchronität ist auch die Asymmetrie zwischen Anrufendem und Angerufenem ein Knackpunkt. Der Anrufende bestimmt den Zeitpunkt, der Angerufene hat i.A. kaum eine Wahl, wann er angerufen wird.

    Ganz anders ist das in Situationen wie terminierten Gesprächen oder Telefonkonferenzen o.ä. – hier bietet die Synchronität der Kommunikation durchaus Vorteile, weil sich nämlich alle Teilnehmenden darauf vorbereiten können, und somit auch als weniger störend empfunden werden.

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  2. Moritz

    Bei mir läuft die Begründung teilweise andersherum, ausgehend von SMS-Flatrates, WhatsApp, iMessage und Co: Zu jeder Tages- und Nachtzeit kann dich jemand anschreiben und sieht dann sofort, dass du die Nachricht gelesen hast. Also will er auch eine Antwort. Jetzt!

    Deshalb rufe ich häufiger als früher Leute an, wenn ich was ausmachen/besprechen will. Und wenn derjenige grad keine Zeit hat, dann eben später nochmal.

    Am liebsten kommuniziere ich aber auch über Mail. Man schreibt und der andere schreibt zurück, wann immer er möchte. Allerdings scheint dieses E-Mail-Zeug in meiner Altersgruppe bis heute nicht weit verbreitet zu sein. E-Mail-Adressen sind für viele in meinem Alter wohl nur dazu da, um sich auf Facebook und Co zu registrieren.

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  3. stk Beitragsautor

    @Nitek, danke fuer den Link 🙂

    @Benjamin, die Asymmetrie meinte ich in erster Linie. Jemand anders zieht am metaphorischen Strick, und ich muss huepfen. Das finde ich nervig.

    @Moritz, interessante Sichtweise — ich fuer meinen Teil mal SMS noch weniger als Anrufe. Da schickt mir jemand eine Nachricht und erwartet auch noch, dass ich fuer eine Antwort Geld ausgebe. Deswegen beantworte ich die dann oft auch gar nicht :3

    Ich wuenschte, Mail wuede mehr „richtig“ benutzt werden. Tatsaechlich sind viele schon bei der Nutzung von Mailinglisten und Quoting ueberfordert…

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