Archiv für den Monat: April 2012

Dit is nich Dorf hier.

Soeben erreichte uns folgende Anekdote vom heutigen Nachtmittag: [sic]

Im Empfangswarteraum der Polizeiwache, Abschnitt 51, Wedekindstraße in Friedrichshain, direkt hinterm Berghain gelegen: Ein Mann um die 60 in gebügelten Jeans und polierten schwarzen Cowboystiefeln und Ledermäppchen unterm Arm spricht einen Beamten in Uniform und mit Irokesenhaarschnitt an.
Bürger: „Bei mir im Haus haben die für heute wieder die Walpurgisparty angesagt. Da kommen Hunderte“.
Beamter: „Ja, und?“.
Bürger: „Nun, die spielen ganz scheußliche Musik, die ganze linke Szene trifft sich da. Ist das denn genehmigt?“
Beamter: „Das ist genehmigt“
Bürger (leise): „Aber kann man nichts dagegen machen?“
Beamter: „Was sollen wir denn dagegen machen?“
Bürger: „….“
Beamter: „Dit is eben Berlin, dit is nich Dorf hier.“
Bürger: „Aber die haun doch dann alles kurz und klein“.
Beamter: „Aber wenn die Volksmusik oder Country spielen würden, dann wärs ok für sie?“
Bürger: „Nee, ich weiß nich'“
Beamter: „Wie gesagt: Dit is Berlin. Wenn es zu heftig wird ab 22 Uhr, rufen Sie an“
Büger: „Ja, gut“. Bürger geht.

 

Live-Ticker: Wedding: Veranstalter beendet Demonstration – 1. Mai – Berlin – Tagesspiegel.

Nachdem @gruenzeug mit einem Tag Verspaetung in Berlin eintraf, mussten wir uns erst einmal mit dickem Salatbausatzkauf beschaeftigen — und befinden uns aktuell in der etwas absurden Situation, jeweils nur wenige U-Bahn-Minuten von den Maifestspielen in Kreuzberg und Wedding entfernt zu sein, und diese per Ticker zu verfolgen.

Der Aufbau fuer die re:publica ist uebrigens ganz ganz anders als die letzten Jahre. Ich weiss noch nicht so recht, was ich von dem Flair halten soll… erster Eindruck bisher: Friedrichstadtpalast war repraesentabler. Mal sehen, was der Mittwoch bringt 🙂

Linkschleuder

…der Versuch einer Aufarbeitung noch offener Tabs. Leider sind teilweise die QuellengeberInnen verloren geraten 🙁

Netz und Gesellschaft

  • World War 3.0 — interessant geschriebener, tiefgehender Artikel aus der Vanity Fair (sic) ueber Das Netz™, wer es kontrollieren sollte und warum nicht.
  • Revealed: How Twitter’s secret offer for Instagram made Facebook pay $1B — Portrait eines tief paranoiden Mark Zuckerberg, der von der Furcht getrieben scheint, Facebook koennte an Relevanz oder Dominanz verlieren.
  • How to Preserve, Prepare und Produce Your Digital Legacy — Die Frage, was eigentlich aus dem eigenen digitalen Nachlass wird. Nicht nur fuer den Todesfall interessant, sondern auch fuer die Frage, wie man in 30 Jahren mit dem akkumulierten Zeug umgeht, das man (hoffentlich) lokal und nicht nur auf Facebook &c hat.
  • Sprache und Ungleichheit — Anatol Stefanowitsch vom Sprachblog beleuchtet den Weg von der Unterscheidung zur Diskriminierung, und welche Rolle Sprache hierbei spielt. Piraten, die behaupten, es gaebe bei ihnen keine Diskriminierung, sollten das mal lesen 😉

OpenData &c

Nerdstuff

Design und Kunst

  • The design of a signage typeface — sehr schoen bebilderter Vergleich verschiedener Schriften auf (Strassen)schildern, mit Vorstellung einer Eigenentwicklung

Unterhaltung

Ulmer Bordellkultur… vor 40 Jahren

Ein schoener Einblick in die Ulmer Welt der kaeuflichen Zuneigung anno 1972 aus dem Spiegel-Archiv via Achim:

Dr. h. c. Theodor Pfizer, 68, scheidender Oberbürgermeister von Ulm und Präsident der Hölderlin-Gesellschaft, nahm bei seiner Abschiedsrede am 24. Juli nach dem Zeugnis seiner Mitarbeiter das Wort „Bordell“ zum erstenmal in den Mund.

Was den feinsinnigen Stadtvater gerade am Ende seiner Amtszeit zu solch verbalem Kraftakt zwang, formulierte eine Mitbürgerin Pfizers zwanglos mit der Frage: „Wo, zum Teufel, sollen wir denn noch bumsen?“ Denn sie darf es nicht mehr im Freudenhaus, weil die Stadtverwaltung es nicht will, und sie darf es nicht per Straßenstrich — weil die Konkurrenz es nicht duldet.

Schauplatz war die heute vergleichsweise honorig wirkende Schuelinstrasse 12 im Viertel Oststadt-Wielandstraße, die zuerst 310 Immigranten und danach 50 Prostituierte beherbergte — was der nachkriegsdeutschen Ulmer Stadtfuehrung unter dem vermeintlichen Saubermann Pfizer nicht so recht gefallen wollte. Das Haus wurde geschlossen, die Dirnen auf den Strassenstrich getrieben.

Der verlief, die Vorstellung ist heute ebenfalls ungewohnt, entlang der Schillerstrasse an der Grenze zur Weststadt. Und war bereits besetzt:

Eugen Kalchschmidt, Organisator und Boß der Freiluftliebe in der Schillerstraße, setzte am vorletzten Wochenende eine Männerriege ein. um die erwerbslosen Damen „freundlich, aber unmißverständlich“ fortzuschicken.

Die Vertriebenen aus der Schülinstraße erhielten von dem Stoßtrupp einen Stadtplan. in den neue Sperrbezirke eingezeichnet waren — diesmal freilich nicht von der Stadtverwaltung, sondern von der Selbstverwaltung des Schillerstraßen-Strichs.

 

 

DER SPIEGEL 34/1972 – Gelegentlich Schreie.

Veranstaltungshinweise

Kurzer Hinweis auf moeglicherweise interessante Dinge der naechsten Tage:

Amnesty Ulm beginnt morgen (25.4.) im H1 der uulm mit einer Vortragsreihe ueber Fluechtlinge und Folteropfer. Urs Fiechtner wird ins Thema einfuehren, es folgen bei weiteren Terminen u.a. ReferentInnen aus dem Behandlungszentrum fuer Folteropfer (BFU). Die Termine der einzelnen Vortraege finden sich auf der Amnesty-Seite.

Leider terminueberschneidend, aber eigentlich auch schon ewig angekuendigt: Ebenfalls morgen findet im H22 der uulm das jaehrliche Streiflicht statt. Wer sich dafuer interessiert, was diese Leute an der Uni eigentlich in der Medieninformatik so alles machen, kann sich das gerne ansehen; der Eintritt ist natuerlich frei, und es gibt fuer wenig Geld auch was zu trinken. Und weil 2012 ist, gibt’s auch hierfuer wieder ein Facebook-Event, wenn man sich da anmelden mag (was man nicht muss).

Wer schon heute was unternehmen mag, kann heute nach Stuttgart auf die Villa Reitzenstein kommen. (Korrektur: Konnte man nicht, ich hatte das Veranstaltungsformat an dieser Stelle falsch verstanden). Die Staatsraetin fuer Zivilgesellschaft und Buergerbeteiligung Gisela Erler veranstaltet regelmaessig „Kamingespraeche“ und hat u.A. mich zum Thema „www.aktiv im Netz“ [sic] eingeladen. Beginn ist um 1700 Uhr.

Und, last but not least, noch einmal der Hinweis auf das OpenCityCamp am 12./13. Mai an der Uni Ulm — kommt alle! 🙂

Karten mit R

Ich haette mich in den letzten Tagen eigentlich mit etwas voellig anderem beschaeftigen muessen. Deswegen habe ich mich in R eingearbeitet. Prokrastination, level: 14. Semester. Und weil mir das Spass gemacht hat, moechte ich meine Erfahrungen festhalten und teilen.

Am Ende dieses kleinen Durchlaufs steht eine Choroplethenkarte — also eine in Subregionen unterteilte Karte, deren Flaechenfaerbung gewisse Kennzahlen anzeigen kann. So etwas geht heutzutage auch schoen als Overlay-Karte mit OpenStreetMap, mich interessierte aber der Prozess in R, und wie man ueberhaupt einmal zu den passenden Farben kommt 😉

0: R installieren

R gibt es fuer Win, MacOS und Linux; ich habe mich mit der letzteren Variante beschaeftigt. Eigentlich ginge das wunderbar mit sudo apt-get install R, dann wird aber bei einigen Distributionen erst einmal eine aeltere Version installiert, die viele Dinge nicht kann, die wir spaeter noch brauchen. Hier ist beschrieben, wie man die passenden Paketquellen einbindet, sofern man nicht ohnehin aus dem Source heraus kompilieren moechte.

Wenn man moechte, kann man auch eine GUI verwenden. Ich habe ein wenig mit RKward gespielt, mit dem man schoen die zu erledigenden Schritte in eine Skriptdatei schreiben und Zeile fuer Zeile abarbeiten kann — das hilft, die eigenen Schritte hinterher auch festzuhalten. Prinzipiell geht aber alles auch in der Konsole → R ausfuehren und anfangen. Mit q() geht’s wieder zurueck in die Shell.

(Mittlerweile bin ich auch auf Deducer gestossen, der recht vielversprechend aussieht, dazu vielleicht spaeter noch etwas)

1: Erste Schritte

Ich werde nicht grossartig auf die R-Grundlagen eingehen — die eignet man sich am besten dann bei, wenn man irgendwo auf ein Problem stoesst. Das kurze Grundlagenhandbuch von Thomas Petzold hat mir hierfuer gut getaugt.

Die Uebersicht aller Ulmer Stadtviertel liegt auf ulmapi.de als ZIP-Archiv mit einem ESRI-Shapefile vor. Und von dort zur ersten primitiven Karte sind es eigentlich nur vier Zeilen:

library(maptools)
setwd("/media/home/opendata/stadtviertel")
ulm <- readShapePoly("Stadtviertel_Gesamt_270209.shp")
plot(ulm)

Falls die maptools- (oder eine beliebige andere) Bibliothek nicht vorhanden ist, kann sie aus R heraus mit install.packages("maptools") nachinstalliert werden. Gegebenenfalls ist hierfuer noch der gcc- und gfortran-Compiler zu installieren. Das Argument in setwd() sollte natuerlich das eigene Arbeitsverzeichnis sein, in dem die Shapes aus dem ZIP-Archiv liegen.

Mit diesen wenigen Zeilen haben wir also eine erstens zum schreien haessliche und zweitens vollkommen informationsfreie Karte mit den Umrissen der Ulmer Stadtviertel hinbekommen. Dieser Schritt bringt uns also ueberhaupt nichts nuetzliches, aber zumindest einmal das gute Gefuehl, dass da etwas geklappt hat 🙂

2: Farbe!

Interessanter wird es, wenn tatsaechlich auch Farbe ins Spiel kommt. Die Shapefiles bringen (in der Regel) eine DBase-dbf-Datei mit, in denen mit den Umrissen verknuepfte Daten mitgebracht werden. Die liegen nun im Datenslot der Variable ulm, die wir vorhin mit dem Shape gefuellt haben. Ein einfaches

ulm

wirft uns den kompletten Inhalt dieser Variable um die Ohren — also auch alle Koordinaten. Mit

names(ulm)

sehen wir die Namen der Datenvektoren, und mit

ulm@data

bekommen wir diese als „Tabelle“ angezeigt. Einzelne Spalten (bzw. Vektoren) koennen wir mit einem angehaengten $Spaltenname selektieren; so gibt

ulm@data$ST_NAME (oder einfach ulm$ST_NAME)

alle Eintraege im Datenvektor der Stadtteilnamen aus. Nach diesen Eintraegen koennen wir nun arbeiten — zum Beispiel, indem wir einfach einmal die Karte nach Stadtteilen faerben. Das geht in zwei Zeilen:

col <- rainbow(length(levels(ulm@data$ST_NAME)))
spplot(ulm, "ST_NAME", col.regions=col, main="Stadtviertel Ulms", sub="cc-by-sa, Datensatz der Stadt Ulm", lwd=.8, col="white")

rainbow() erzeugt hier einfach einen Farbverlauf — oder besser gesagt, einen Zeichenvektor mit so vielen (length()) RGB-Farben, wie es eindeutige Werte (levels()) im Vektor ST_NAME gibt. spplot() plottet hier ulm, faerbt die durch ST_NAME bezeichneten Regionen mit der vorhin erstellten Palette ein, setzt Titel und Untertitel und die Grenzen zwischen den einzelnen Flaechen auf weisse Linien.

(Zusammengebastelt anhand dieser Tutorials)

Auch diese Darstellung ist in der Darstellung eher unspannend — dargestellt werden so nur Raumordnungsdaten, keine statistischen Werte. Dazu kommen wir nun.

3: Malen nach Zahlen

Eigentlich sollen Zahlenwerte dargestellt werden, wie im R Choropleth Challenge demonstriert. Hierzu brauchen wir aber erst einmal die darzustellenden Daten samt Schluesseln, um sie den passenden Regionen zuordnen zu koennen.

Die Tutorials und Anleitungen, die ich durchgeackert habe, gehen von zwei Praemissen aus — entweder werden RData-Objekte aus der GADM-Datenbank verwendet, wie in diesem Tutorial ueber die Einwohnerdichte indischer Bundesstaaten. Oder es geht um ESRI-Shapefiles, die in ihrem dbf-Anhaengsel deutlich mehr Nutzdaten mitbringen als unsere Stadtteilekarte. Schoene Beispiele hierfuer finden sich auf dieser Uebersichtsseite sowie in diesem weiterreichenden Beispiel, beides von der University of Oregon, an der gerade (Fruehling 2012) offenbar eine passende Vorlesung laeuft.

Die Zuordnung von Shape und geschluesselten CSV-Dateien greife ich (vielleicht ^^) in einem Folgeartikel noch einmal auf. Stattdessen gibt es nun was ganz exklusives, eine UlmAPI-Sneak-Preview quasi: Einen nagelneuen Datensatz der Stadt, bevor er auf ulmapi.de landet. Wow!

Es handelt sich um *trommelwirbel* ein Shapefile, das neben den Schluesseln und Namen auch den Altersquotienten fuer das jeweilige Viertel beinhaltet. Wow! 😀

Der Altersquotient gibt das Verhaeltnis von Personen ab 65 zu Personen von 14–64 an und kann somit als Indikator fuer die Altersstruktur der Bevoelkerung dienen. Und das laesst sich natuerlich gut farbig darstellen 🙂

Wir fangen wieder mit unseren bisherigen Bibliotheken und dem Einlesen an:

library(sp)
library(maptools)
setwd("/media/home/opendata/altersquotient")
ulm <- readShapePoly("G_Altersquotient_311210.shp")
# Inhalte kontrollieren
names(ulm)
ulm@data

Na hoppla, da ist was schiefgegangen, oder? Die Chancen sind gross, dass hier nun etwas wie „ M\xe4hringen“ steht. Das ist aber nichts, was man nicht schnell beheben koennte — wir konvertieren die betroffenen Vektoren korrekt nach UTF-8 und ersetzen die Originale damit:

ulm@data$STT_Name <- iconv(ulm@data$STT_Name, "ISO_8859-1", "UTF-8")
ulm@data$STTV_Name <- iconv(ulm@data$STTV_Name, "ISO_8859-1", "UTF-8")

Um nun die Daten aus der Spalte ALTQU in Farben umzusetzen, verwenden wir das Paket RColorBrewer, das einige fuer Diagrammvisualisierungen praktische Farbverlaeufe mitbringt, und die Bibliothek classInt, um die Werte unseres Altersquotientenvektors zu klassieren:

library(RColorBrewer)
library(classInt)

plotvar <- ulm@data$ALTQU
nclr <- 7
plotclr <- brewer.pal(nclr,"Greens")
class <- classIntervals(plotvar, nclr, style="equal")
# class <- classIntervals(plotvar, nclr, style="quantile")
colcode <- findColours(class, plotclr)

in diesem Beispiel sind die Klassenbreiten konstant; classIntervals() laesst jedoch natuerlich auch noch andere Optionen zu.

Diese Vorbereitung reicht schon, um die oben abgebildete Karte anzuzeigen:

spplot(ulm, "ALTQU", col.regions=plotclr, at=round(class$brks, digits=2), main = "Altersquotient nach Stadtvierteln in Ulm", sub="Stand 31.12.2010 nach Daten der Stadt Ulm, cc-by-sa", lwd=.8, col="white")

Weiteres Tuning waere beispielsweise durch die Anzeige der Stadtviertelnamen moeglich, was aber angesichts der teilweise dichten Haeufung nur zur groben Orientierung taugt:

spplot(ulm, "ALTQU", col.regions=plotclr, at=round(class$brks, digits=2), main = "Altersquotient nach Stadtvierteln in Ulm", sub="Stand 31.12.2010 nach Daten der Stadt Ulm, cc-by-sa", lwd=.8, col="white", sp.layout = list("sp.text", coordinates(ulm), as.character(ulm$STTV_Name), cex=0.6))

So weit so gut…

Dieser Einstieg kratzt leider wirklich nur an der Oberflaeche — und auch die Darstellung mit spplot laesst ein wenig zu wuenschen uebrig. Ebenfalls nicht behandelt habe ich das „Problem“, Shapefiles mit ganz anderen Daten zu verknuepfen. Die verlinkten Tutorials helfen hier teilweise schon weiter — ich hoffe aber, die naechsten Tage zwischen Barcamporga und Arbeiten noch ein wenig Zeit fuer ein weiteres Posting ueber ggplot2 und weitere Beispiele hinzubekommen 🙂

Viele weitere Datensaetze und vor allem auch Visualisierungsjunkies findest du ausserdem auf dem OpenCityCamp am 12. und 13. Mai 2012 an der Uni Ulm 😉

(edit: peinliche Typos gefixt)

Begriff des Tages: Kanalreduktionstheorie

Die zentrale Aussage der Kanalreduktionstheorie ist, dass durch den Ausschluss von Sinneskanälen durch CMC (Computer-mediated-communication) die Kommunikation entsinnlicht wird. Die Kommunikation kann z.B. durch E-Mail auch zeit versetzt, asynchron, stattfinden. Somit kann man auch von einer Ent-Zeitlichung sprechen. Menschliche Emotionen können durch CMC nicht adäquat vermittelt werden. Deshalb ist die face-to-face-Kommunikation der CMC vorzuziehen. CMC ist laut der Kanalreduktionstheorie und wegen fehlender Sinneskanäle im Vergleich zu face-to-face Kommunikation defizitär und unpersönlich.

Computervermittelte Kommunikation – Wikipedia, aufgeschnappt von @rstockm im IRC.

Datendings (Hallo Journalisten)

Datenflut – Vortrag bei twenty.twenty in Wien – 21.03.2012 from datenjournalist.de on Vimeo.

Als ich vor zwei Jahren bei der grossen Ulmer Zeitung ein Praktikum in der Onlineredaktion machte, verfiel ich in ein typisches Informatikerverhalten. Mir fiel auf, dass ein nicht unerheblicher Teil der Arbeit aus prinzipiell automatisierbaren Teilaspekten bestand, und innerlich drehten die Muehlen, die das irgendwie scripten wollten. Beispielsweise wurde der Polizeibericht, sobald er per E-Mail eintraf, sowohl von der Onlineredaktion als auch von Print jeweils gelesen, in der Regel umgeschrieben, in das jeweilige Contentmanagementsystem befoerdert und veroeffentlicht.

Nach hinreichend vielen Semestern Informatikstudium reicht das fuer einen inneren Aufschrei und einen kaum zu baendigenden Willen, dieses System zu automatisieren.

Geschafft habe ich das damals nicht, aber ich habe mir wenigstens einige Seiten festgehalten, mit deren Hilfe ich damals ein wenig in die Welt des Datenjournalismus eingestiegen bin.

Fast forward: Zwei Jahre spaeter, und wir sind eigentlich immer noch nicht bahnbrechend weiter als 2010.

Ich glaube, es gibt recht viele Journalisten, die entweder Angst vor Daten haben oder aus irgendwelchen Gründen glauben, eine Analyse sei nicht nötig. Sie glauben, dass die traditionellen Wege der Berichterstattung immer schon richtig waren und das das auch so bleiben sollte. Das ist für mich eine Sünde des falschen Handelns. Auf der anderen Seite gibt es das Problem, dass in vielen Redaktionen die Existenz bestimmter Werkzeuge, Techniken oder Möglichkeiten einfach nicht bekannt ist. Von den zwei Gründen der Nicht-Nutzung ist das die besonders tragische Auslassung

sagt Aron Pilhofer im Interview mit Tereza Bouza, dessen deutsche Version der in dieser Thematik beinahe allgegenwaertige Lorenz Matzat in seinem Blog veroeffentlicht hat.

Der Einstieg ist dabei denkbar einfach — damals stiess ich auf grosse Begeisterung, als ich eine einfache Flash-Timeline zu einem Thema vorschlug, die mit wenigen Zeilen Code eingebunden werden konnte. Flowingdata ist eine schoene Anlaufstelle fuer Inspiration zu Visualisierungen jeglicher Art, und wer tiefer einsteigen moechte, findet bei Florian Gossy eine umfassende Linkliste.

Trotzdem werde ich immer wieder ueberrascht, wie abweisend mit dem Thema umgegangen wird. Es mag an der Mathematik liegen, die oft gefordert wird, oder an dem mehr oder (eher) weniger grossen Programmieraufwand, aber oft habe ich den Eindruck, dass man nicht so recht Lust hat, sich ueberhaupt mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Beim kommenden OpenCityCamp im Mai hier in Ulm war von Anfang an der Plan, sich auch mit Datenjournalismus auseinanderzusetzen, und dementsprechend war das auch Teil der Pressemitteilung der Universitaet, die zu meiner Freude auch in diversen oertlichen Medien aufgegriffen wurde.

Wenn wir aber dann kurz auf die Moeglichkeit verwiesen, doch auch als JournalistIn am OpenCityCamp teilnzunehmen, gab es bislang nur Kopfschuetteln: Das sei ja am Wochenende, und wenn man da nicht vom Arbeitgeber freigestellt werde, gehe ja die Freizeit drauf. Mehr als dass meine da schon laengst fuer draufgeht, konnte ich dann auch nicht mehr entgegnen…

(eingebettetes Video ebenfalls von Lorenz Matzat)

Addendum, beinahe vergessen: Bei der Spreerunde gibt es Aufzeichnungen der NR-Tagung Datenjournalismus. Fuer diem, die’s dann vielleicht doch interessiert.

Der unfreiwillige Statistiker

In einem wunderbaren Artikel beschreibt Professor George Box seinen etwas ungewoehnlichen Werdegang zum Statistiker und den ebensowenig geradlinigen Weitergang danach:

So when war broke out in September of that year, although I was close to getting a degree in Chemistry, I abandoned that and joined the Army. They put me in the Engineers (and when I see a bridge I still catch myself calculating where I would put the charges to blow it up).

Before I could actually do any of that I was moved to a highly secret experimental station in the south of England. At the time they were bombing London every night and our job was to help to find out what to do if, one night, they used poisonous gas. […]

The results I was getting were very variable and I told my colonel that what we really needed was a statistician.

He said „we can’t get one, what do you know about it?“ I said „Nothing, I once tried to read a book about it by someone called R. A. Fisher but I didn’t understand it“. He said „You’ve read the book so you better do it“, so I said, „Yes sir“.

Also liest George „verkleidet als Sergeant“ Box einen Haufen Buecher, den ihm die Army gekauft hat, entwirft einige hundert Experimente und schreibt Paper darueber. Und als er gegen eine metaphorische Wand laeuft, muss die Armee, die nicht darauf eingestellt ist, wissenschaftliche Beistandsreisen zu organisieren, improvisieren:

At one point I was having trouble with a statistical problem. A very senior scientist suggested that I contact R. A. Fisher, who asked me to come and see him. The Army did not know how to send a sergeant to see a professor, so they made a railway warrant that said I was taking a horse to Cambridge. It was a beautiful day.

Nach dem Krieg „darf“ er in seinem zufaellig erworbenen Fach fertigstudieren, was ihn ganze 18 Monate beschaeftigt, bevor er graduiert. Mit einem Umweg ueber eine Chemiefirma mit viel hands-on-Arbeit („some of the happiest [years] in my life“) kommt er mit mehreren weiteren Umwegen und widrigen Umstaenden (wie etwa regelmaessigen Hochwassern) doch wieder in die Forschung und Lehre zurueck und gruendet eine sympathische Einrichtung:

Early on it seemed to me that students were learning a great deal about statistical theory but very little on how to use it. So I instituted what came to be called the „Monday night beer session“. This was not an official course. It happened in my house and there were no course requirements, grades etc. You came if you felt like. Students and faculty were welcomed from all departments. So we had graduate students and often faculty from Statistics, Engineering, Business and Medical School among others. We also had talent scouts looking for people who had problems they wanted to discuss. Typically in 20 minutes or so the problem was presented and then there was a general discussion about how it might be solved. Decades afterwards, from one-time graduates, I continually hear „the thing I remember best and most helpful was the Monday night beer session“. I believe people learned how to solve problems there.

…gaebe es doch nur mehr solche ProfessorInnen! 😀

Schoener tippen unter Linux

Wenn man jemandem einen Gefallen tun will, zeigt man ihr niemals mehr als die absoluten Grundlagen der Typographie. Das Problem ist naemlich seit ueber 100 Jahren dasselbe: Fuer den handwerklich gut gemachten Druck von Texten aller Art gibt es SchriftsetzerInnen, die frueher aus riesigen Setzkaesten die passenden Bleilettern fuer einen Text fischten und einzelne Letternabstaende im Zweifelsfall mit hauchduennem Seidenpapier ausglichen, um ein optisch „rundes“ Bild zu erreichen. Die Vorlagen wurden handschriftlich erarbeitet, oder mit einem Kompromiss zwischen Handschrift und „richtigem“ Satz: Der Schreibmaschine.

Mit Blei arbeitet heute kaum noch jemand, Desktop Publishing lautet fast immer das Zauberwort. Eine Sache ist jedoch geblieben: Wenn wir Texte in den Rechner eingeben, dann sieht das dazugehoerige Geraet immer noch verflixt nach diesem mechanischen Kompromiss namens Schreibmaschine aus.

Das hat Folgen. Eine gut ausgebaute Schrift hat mehrere hundert verschiedene Buchstaben, Zahlen, Punktuations- und Sonderzeichen („Glyphen“), die Tastatur kommt mit rund hundert Tasten aus — und geht dabei viele Kompromisse ein. Anfuehrungszeichen beispielsweise sucht man auf ihr vergebens, und schon allein von diesen gibt es in der Typographie gleich mehrere Varianten. Deutsche Anfuehrungszeichen folgen der Regel „99 unten, 66 oben“; waere dieser Text fuer die USA verfasst, kaeme die Regel “66 oben, 99 oben” zum Tragen, und wenn man moechte, kann man auch Guillemets verwenden, die immer wieder mit spitzen Klammern »nachzubauen« versucht wird, was in der Regel fuerchterlich aussieht. Der Kompromiss: Ein doppeltes Hochkomma („), das eigentlich allein als Zeichen fuer die Einheiten Zoll und Sekunde dient.

Welchen Eindruck die Verwendung ueberzaehliger Ausrufezeichen macht, ist seit Terry Pratchett gluecklicherweise hinreichend geklaert — es soll aber Leute geben, die gerne und immer ihre Saetze mit drei Punkten beenden…
Auch hier faellt bei genauerem Hinsehen schnell auf: Dieses Auslassungszeichen besteht nicht etwa aus drei aneinandergereihten einfachen Punkten (…), sondern ist ein eigenes Zeichen — die horizontale Ellipse naemlich (…).

Und so kann man das weiterfuehren: Das Euro-Zeichen (€) ist seit ueber zehn Jahren auf den Rechnertastaturen angekommen, aber was ist mit Yen (¥), Pfund (£) oder Cent (¢)?

Wer Windows nutzt, darf sich diese Zeichen weiterhin aus der charmap suchen — Linux-Nutzer haben es wieder einmal deutlich einfacher. Ich habe offen gestanden keine Ahnung, wie es sich bei anderen Distributionen verhaelt, aber zumindest unter Ubuntu haben beinahe alle Tasten eine Drittbelegung, wenn man sie zusammen mit der Alt Gr-Taste benutzt: Guillemets und Anfuehrungszeichen finden sich auf y, x, v, b und n, die Ellipse auf der Punkt-Taste, und mit Alt Gr und Shift erschliesst sich sogar noch eine vierte Ebene, auf der sich auch ®, ©, ™, ±, × und ÷ finden.

Dank UTF-8 kann man das heutzutage auch halbwegs problemlos in E-Mails verwenden — und wer gerne Flashbacks zehn Jahre zurueck mag, kann mit AltGr-Shift-4 auch das International Currency Symbol tippen: ¤.
Fuehlt sich ja fast an wie 2002, als man Leuten den Unterschied zwischen ISO-8859-1 und ISO-8859-15 erklaeren musste 🙂

Addendum: Alfred weist in den Kommentaren darauf hin, wie das auch unter MacOS geht. Sehr schoen — ich war eher zufaellig auf die Linuxvariante gestossen und habe damit meine Lebensqualitaet ganz dramatisch gesteigert. So einfach sind Typonerds zufriedenzustellen 😉