Bigotte Facebook-Hysterie

In den letzten Tagen rauschte quasi im Viertelstundentakt ein hysterisches „Oh Gott! Facebook erkennt dein Gesicht!“ durch die Facebook- und Twittertimeline, inklusive dem Hinweis, dass man das unbedingt ausschalten solle und passender Anleitung.

Ich hatte da nur eine Frage:

„Warum“?

Okay, Pascal hatte in seiner Antwort auf Facebook schon irgendwie Recht: Facebook rollt staendig Features aus, die einfach mal da sind, ohne dass die Benutzer grossartig informiert werden. Neues Profillayout, zum Beispiel. Oder Gesichtserkennung. Einfach so.

Das kann man andererseits aber auch irgendwie verstehen. Denn der Aufschrei ist immer da. Native Retweets oder die Ausblendung der @-Replys an andere bei Twitter? Wie kann man nur! Furchtbar! Neues Facebookprofillayout! Frechheit! Man erkennt da ein Muster: Es kommt eine Neuerung, alle regen sich furchtbar auf, gruenden Protestgruppen, der Anbieter sitzt das einfach aus, und nach zwei Wochen kraeht kein Hahn mehr danach.

Die lautstarken Proteste nerven mich aber offen gestanden. Zum Einen scheint Sven Dietrich einer der wenigen zu sein, die sich ueberhaupt mit der Thematik an sich kritisch auseinandersetzen. Der Rest verbreitet einfach ohne weitere Reflektion die Anleitungen zum Abschalten der Tagging-Funktion, und wirkt dabei manchmal grenzdebil. Beispiel aus der oertlichen Zeitung:

Zwar kann das Feature durchaus von praktischem Nutzen sein, jedoch sollte bedacht werden, dass sich in den Kontaktlisten vieler Facebook-Nutzer nur in seltenen Fällen die engsten Freunde befinden.

Ja, das sollte man halt immer bedenken. Hat aber mit dem Feature speziell nichts zu tun.

Mit der automatischen Gesichtserkennungs-Software hat man zusätzlich keinerlei Einflussmöglichkeit, welche Bilder „Freunde“ tatsächlich hochladen und markieren und vor allem, was darauf zu sehen ist.

*facepalm* — das hat man so oder so nicht. Mit den Tags findet man wenigstens heraus, dass etwas mit dem eigenen Gesicht hochgeladen wurde. Was ist denn das fuer eine Recherche, geschweige denn Schlussfolgerung?!

Da die Gesichtserkennung, wie bereits in früheren Fällen, standardmäßig aktiviert ist, muss diese manuell vom User abgeschaltet werden: Dazu sollte man […], um die Gesichtserkennung deaktivieren zu können.

Nein, verdammt! Abgeschaltet wird nur, dass man zum Tagging vorgeschlagen wird. Wie soll denn bitte abgeschaltet werden, dass genau mein Gesicht nicht erkannt werden soll? Um zu erkennen, dass auf einem Bild mein Gesicht ist, (das nicht getaggt werden soll, ) muss mein Gesicht doch erkannt werden.

Wer mit den Features von Facebook ein Problem hat, soll doch wenigstens so konsequent sein und sich abmelden. Genauso bigott wie die Facebook-Kritiker, die sich dann auf Facebook organisieren, um gegen Facebook zu protestieren (sic!), finde ich dann die Medienportale, die einerseits keine Gelegenheit auslassen, um auf die vielen Facebook-Skandaelchen hinzuweisen, andererseits aber ihre Inhalte bereitwillig dort abladen, um Klicks zu generieren und dabei ihren Beitrag zum Lock-In leisten.

Ob es Non-Profit-Alternativen zu den kommerziellen Diensten Facebook und Twitter gibt, liegt nicht zuletzt an uns Nutzern selbst. Vor diesem Hintergrund bekommt auch das franzoesische Verbot, Facebook und Twitter in den Medien zu erwaehnen, wenn es nicht um die Dienste selbst geht, eine ganz andere Bedeutung.

6 Gedanken zu „Bigotte Facebook-Hysterie

  1. nullsummenspiel

    Grundsätzlich Zustimmung. Das mit dem Abmelden ist halt so ne Sache: Eigentlich würde ich das gerne tun, aber das zieht inzwischen so einen Rattenschwanz nach sich, dass ich gar nicht weiß, ob ich die langfristigen Folgen abschätzen kann. Meine vorübergehende Lösung ist jetzt halt mal, meine Kommunikation auf Facebook auf ein Minimum zu beschränken und abzuwarten, was da alles noch kommt. Das ist auch etwas bigott und inkonsequent, ich weiß, aber gegenwärtig seh ich erstmal keine andere Lösung.

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  2. Benjamin

    Boah, dieser Blogeintrag ist doch genauso nervig, wie das Geschreie derjenigen, die vor dem Taggen so Angst haben.

    Das geht doch alles am eigentlichen Problem vorbei – will ich überhaupt verlinkt werden können oder nicht? Wie es letztendlich zu einer Markierung kommt, ist doch technisch völlig egal. Ob da einer eifrig manuell markiert, oder mithilfe von Algorithmen das unterstützt wird – visueller Tag bleibt Tag. Wer das nicht will, soll halt ausschalten, dass irgendjemand anders seine Verlinkungen sehen kann und fertig.

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  3. stk Beitragsautor

    @nullsummenspiel, ich hatte auch schon mit dem Gedanken gespielt — vor allem, nachdem ich bemerkt hatte, dass die Postingfrequenz hier nicht zuletzt deswegen so im Keller ist, weil ich mittlerweile vieles direkt auf Facebook poste. Da kommen direkt Likes und Kommentare, instant gratification also — und ich spiele dem geschlossenen System zu. Mir missfaellt das eigentlich, und noch mehr missfaellt mir, wie leicht ich immer wieder verfalle, es trotzdem zu tun.

    @Benjamin, ich sehe schon einen Unterschied zwischen dem Tagging an sich (das man moegen darf oder auch nicht) und der Gesichtserkennung. (Wobei ich spontan gar nicht so sicher bin, ob das quasi historisch gesehen bei der Einfuehrung des Taggings so viel anders war.) Ein einzelnes getaggtes Bild ist halt einfach nur eine Markierung — bei der maschinellen Erkennung entstehen auf einmal Aengste, mit seinem Gesichtsabdruck fuer immer bei facebook (wie passend, haha) gespeichert zu sein und auch in Zukunft jedes Bild einem zugeordnet werden kann. Dass die Kontrolle, wer wie getaggt wird, dann doch (noch) bei einem Menschen liegt, faellt eben unter den Teppich.

    Meine prinzipielle Irritation bleibt aber trotzdem: Egal welches Feature es ist, das einen nun stoert, warum dieses bockige „mog i net, bloed“? Facebook interessiert das einen feuchten Dreck. Konsequent waere nur der Ausstieg — und der ist dank des weitgehenden Lock-In (Partyeinladungen, etc.) gar nicht so ohne. Auch wegen des Mangels an Alternativen.

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    1. Benjamin

      Ich kann dir da nicht ganz folgen. Der Algorithmus hilft nur beim Taggen neuer Bilder.

      Die kritische Datensammlung, die deinen „Gesichtsabdruck“ bildet, ist einfach die Sammlung an getaggten Bildern. Dabei ist es doch völlig egal, wie diese Tags letztendlich zustande kamen.

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      1. stk Beitragsautor

        Technisch mag das stimmen (wobei die Sammlung getaggter Bilder erst einmal nur eine Sammlung von Bildern und keine Merkmalauswertung ist; bei den Bildertags kann auch Unsinn dabei sein), die psychologische Interpretation scheint aber eine andere zu sein.

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