Archiv für den Monat: Januar 2011

Aegypten und der Rest der Welt.

Irgendwie gleichen sich die Ablaeufe. Genau wie bei der Berichterstattung ueber Tunesien scheint es sich bei den Ablaeufen in Aegypten hauptsaechlich um ein Problem mit Touristen zu handeln. Haette man noch einen Glauben in die klassischen Massenmedien, waere jetzt der ideale Zeitpunkt, ihn zu verlieren. Lokale Medien versuchen indes gar nicht erst, einen oertlichen Bezug zu den Geschehnissen herzustellen (gibt es eine aegyptische Gemeinde in Ulm?), sondern uebernehmen dpa-Meldungen.

Das ist jedoch kein lokales Problem, sondern offenbar deutschland- wenn nicht europaweit so.  Die meisten Informationen kamen und kommen ueber das Netz zu mir — natuerlich mit dem ueblichen Warnhinweis, Quellen zu ueberpruefen und erst einmal nichts unbesehen zu glauben. Loebliche Ausnahme bei den klassischen Medien scheint Al Jazeera zu sein, mit einem Liveblog, einer Brennpunktseite, und mehreren TwitterAccounts, ueber die sie auch an andere Augenzeugen live vor Ort hinweisen.

Resultat: Sendelizenz fuer Aegypten entzogen. Auswirkungen: Kaum, denn die Informationen laufen weiter ueber das Internet, selbst gegen die Blockadeanstrengungen der dortigen Regierung.

Damit duerfte auch aufs Neue eindrucksvoll in der Praxis demonstriert worden sein, was Sperreinrichtungen und „Not-Aus-Knoepfe“ fuer das Internet in der Praxis bedeuten. Nachdem selbst die Al-Jazeera-Reporter in ihrer Mobilitaet eingeschraenkt sind, ist das Netz die einzige Quelle dafuer, dass die Aufstaende in Aegypten offenbar tatsaechlich auch in den laendlichen Gebieten stattfinden, nicht nur in Ballungszentren — eine Besonderheit. Die Regierung setzt indes alles daran, ihren Buergern den Zugang zum Netz zu verwehren: am Donnerstag liess sie praktisch landesweit das Internet abklemmen, waehrend Aktivisten in Aegypten und weltweit parallel sofort an Umgehungsmassnahmen zu arbeiten begannen. Die reichen von zuhause eingerichteten Dialup-Zugaengen ueber die Sammlung noch funktionierender aegyptischer ISPs bis zum Amateurfunk.

Fazit: Ist ein Mem ausreichend potent, wird es sich verbreiten. Egal, was Regierungen anstellen. Und: Ist erst einmal Sperrinfrastruktur vorhanden, wird sie frueher oder spaeter repressiv eingesetzt werden.

Natuerlich wuerden Regierungen aber nie etwas boeses tun, jedenfalls nicht unsere. Nur boese Regierungen tun boeses, so wie in Aegypten, wo man es offenbar seitens der Sicherheitsbehoerden gezielt darauf angesetzt hat, zu Gewalttaten anzustiften, um den eigenen Kurs rechtfertigen zu koennen.

Aber sowas gibts bei uns natuerlich nicht. Niemals.

Ausserdem: Die restliche Welt verdient auf jeden Fall ordentlich mit. Traenengasgranaten aus den USA, Abhoertechnik aus Israel. Bin gespannt, was noch so alles auftaucht.

Warten wir also ab, was passiert, und was auf diese „Revolution“ folgen wird. Und hoffen wir vor allem, dass es keine dieser typischen „Revolutionen“ ist, die Pratchett so treffend charakterisiert:

„Don’t put your trust in revolutions. They always come around again. That’s why they’re called revolutions. People die, and nothing changes.“ (Night Watch)

Ach ja: „Twitter-Revolution“ wird’s vermutlich nicht werden. Und hoffentlich auch nicht „Facebook-Revolution“. Frueher hat ja auch niemand „Flugblatt-Revolution“ gesagt.

„Ein ausgezeichneter Partner“

Ich war ueber das Wochenende bei meinen Eltern, die im Gegensatz zu mir Zeitung und Fernseher vorraetig haben, so dass man dort auch mal in den Genuss der Massenmedienberichterstattung kommt. Und es ist interessant, wie dort der Fokus sitzt: In der Berichterstattung ueber Tunesien wird kurz umrissen, was da eigentlich vor sich geht (ohne zu arg in die Tiefe zu gehen, natuerlich) und danach ueber die Haelfte der Tunesien-Sendezeit auf Tunesien-Urlauber, heimkehrende Tunesien-Urlauber und Angela Merkel verwendet, die ueber die Heimkehr der Tunesien-Urlauber spricht.

Was zum Teufel?

Mittlerweile bin ich wieder in Ulm, deswegen kann ich leider nicht nachvollziehen, wie die oertliche Zeitung hierueber berichtet: Das German-Foreign-Policy-Blog hat kleine Widersprueche zwischen den wohlwollenden Aussagen der Bundesregierung ueber den Sturz Ben Alis und vergangenen Positionen der Adenauer-Stiftung und des Auswaertigen Amtes gefunden:

„Tunesien ist der bedeutendste deutsche Exportpartner unter den Maghreb-Ländern“, schreibt das Auswärtige Amt über die ökonomische Handlangerrolle des nordafrikanischen Staates.

[…]

Der Außenminister, dessen Behörde zuvor selbst Journalisten aus Deutschland im Stich gelassen hatte, die von den tunesischen Repressionsapparaten bedrängt wurden, teilt nun mit, Tunesien brauche „einen nachhaltigen und dauerhaften Reformkurs“. Dass seine Behörde gewisse Schwierigkeiten hat, den Sturz ihres langjährigen Verbündeten in Tunis zu verarbeiten, zeigt ein Blick auf die aktuellen Informationen des Auswärtigen Amts über Tunesien. Dort findet sich – Stand: August 2010 – die Feststellung: „Die Beziehungen zwischen Deutschland und Tunesien sind gut und intensiv.“

Volltext / via @_houellebeck

Master. In Ulm. Mit Gewinnspiel

Man kann an der u³lm uebrigens auch Master werden. Also dasselbe, was frueher mal Diplom war (nur jetzt in anderem Namen und mit viel Bologna. Egal.)

Jedenfalls: Man ist dann in der Regel frisch gebackener Bachelor, hat jetzt so langsam mal Ahnung, was da an der Uni ueberhaupt so vor sich geht und wird nun einer Sache entgegengestellt, die viele Leute sofort vor Angst erstarren und/oder mit Panik reagieren laesst: Auswahl.

Erstens ist man bolognesisch furchtbar mobil und kann den Master ueberall machen, sofern das bisherige Curriculum irgendwie passte und man es gegebenenfalls hinbekommt, die Grundlagen, die an der Uni Wuppertal vorausgesetzt werden, sich irgendwie noch anzueignen. (Das ist nix gegen die Uni Wuppertal, die ich gerade erstmal wikipediaen musste. Die haben immerhin nen Supercomputer, dafuer hoehere Studienbeitraege.) Und zweitens kann man ja sonstwas machen, wobei sich dann sowieso die Frage stellt, was „sonstwas“ ueberhaupt ist und was das kann und ob das toll ist.

Ich sag ja immer, „Uni ist, was du draus machst“, vor allem an der uuulm (jedes u steht fuer potenzielle awesomeness, die man nur selber ausloten muss. Das kann man beliebig konkatenieren, z.B. u³uulm), aber was ich sage, zaehlt in dem Zusammenhang nicht, und deswegen gibt es diesen Freitag einen Masterinformationstag, an dem man sich den ganzen Kram selbst ansehen kann. Und um moeglichst viele externe Studis dazu zu locken, wird ueber die Facebook-Fanseite (die auch von sich aus Inhalte hat) ein iPod verlost, wobei ich die leise Befuerchtung habe, dass der letztendlich an $irgendjemanden aus der uulm geht, der mit Master gar nix am Hut hat 😉

Offenlegung: Ich bin universitaerer Propagandaoffizier, der sich durch die Bezahlung von unten an die Armutsgrenze heranzutasten versucht.

Morgen wird alles anders. Oder so.

Ich habe nicht die leiseste Ahnung, fuer wie serioes man diesen Teil von Stanford halten kann, aber irgendwie passt das recht gut in den Kanon von Rework, das irgendwie in wenigen Stunden durchgelesen war (Danke Matthias fuer den Tipp!)

(via fasels Suppe)

Die Story hinter der Story des „Golden Voice Man“

Nur fuer den unwahrscheinlichen Fall, dass das jemand nicht mitbekommen hat: Neulich ging ein Video eines obdachlosen ehemaligen Radioansagers viral, der sich mit einem handgeschriebenen Pappschild und beeindruckender Stimme ein paar Dollars in Columbus, OH erbettelte.

Jerry Lazar hat nun ein kleines Followup zu dem Video und vor allem zu dem absolut bescheuerten Umgang der dafuer verantwortlichen Zeitung geschrieben, die das Video zuerst nicht einbettbar machte und danach die Youtube-Version mit ueber eineinhalb Millionen Aufrufen loeschen liess:

Now of course the Dispatch has every right to protect its intellectual property. But if somebody hadn’t posted the video on YouTube, you can be sure that it would have never gone viral, TV networks would have never paid attention, and Williams would still be panhandling by the off-ramp.

Lazars weiteren Aerger darueber, dass das Video „nur“ mit einer Flip geschossen wurde, mag ich nicht so recht teilen — die journalistischen Fehler moegen kapital sein, die technische Qualitaet reicht meines Erachtens aber durchaus.

Ein kleiner Aspekt dieser Videoreportage ist aber zum Haare raufen:

Incredibly, the videographer waited a week after he first saw Williams — and heard his voice — to come back with a camera. […] Most incredibly, after he shot the video, it sat on a shelf for six weeks, waiting for „a slow news day“ to make its initial appearance. […]
Looking at what passes for videojournalism on the Dispatch’s site, we’re hard pressed to figure out exactly what other stories pre-empted it during that time.

m(

(via Mindy McAdams)

iCal fuer die Ulmer Muellabfuhr

Totgesagte leben laenger, in diesem Fall ulm.misc, und zu lesen lohnt sich das dann doch immer wieder mal. Quasi-Crosspost:

From: „R.Kluge“
Newsgroups: ulm.misc
Subject: EBU-Abfuhrtermine im iCal-Format
Date: Mon, 03 Jan 2011 12:54:46 +0100
Message-ID:

Hallo,

Damit ich in Zukunft immer rechtzeitig daran erinnert werde, den Mülleimer auf die Straße zu stellen, habe ich ein kleines Perl-Skript geschrieben, das eine Datei im iCalender-Format mit den Abfuhrterminen der Entsorgungs-Betriebe der Stadt Ulm (EBU) für das Jahr 2011 erzeugt. Die Daten können in Kalenderprogramme importiert werden, die das iCal-Format unterstützen. Getestet habe ich es unter Linux und Lightning/Icedove.

Das Skript kann hier heruntergeladen werden: http://mr-unseld.de/?q=node/194

Grüße
Rainer

Viel Spass damit 😉

Arduino everywhere

Bei Hack-a-Day bezichtigen manche Kommentatoren die Autoren schon der erotischen Fixierung auf dieses Ding: Arduino heisst die Plattform, die einem in den letzten Jahren immer haeufiger ueber den Weg laeuft, wenn es um das sogenannte „Physical Computing“ geht — also den Umgang mit kleinen eingebetteten Rechner- oder Microcontrollersystemen, die sich in die Umgebung integrieren und mit dem Benutzer interagieren.

Im Wesentlichen steckt hinter den Arduino-Boards nichts weiter als ein Atmel-MegaAVR-Controller — der aber in standardisierten Entwicklungsboards fuer rund 25 EUR steckt, simpelst per USB zu programmieren ist und dessen Entwicklungstoolchain einem die Programmierung ermoeglicht, ohne dass man allzu tief in bitweises Registerschieben und sonstige Abgruende vorstossen muesste. Wer mag, kann das natuerlich trotzdem tun, der Einsteiger bekommt aber in kuerzester Zeit seine Programme zum Laufen, ohne zuerst tagelang herauszufinden, welche Register genau was anstellen.

Via Netzpolitik.org bin ich vorhin auf eine gut halbstuendige Reportage ueber den Arduino gestossen, und nachdem ich jetzt seit drei Jahren ein einfaches Developer-Board fuer die megaAVRs im Schrank versauern habe, weil es nur ueber die serielle Schnittstelle oder einen ISP zu programmieren ist (den ich nicht habe), werde ich mir nun wohl doch mal so ein Arduino-Board anschaffen. Vielleicht kann man das ja auch in den Kontext von Urban Sensing einbauen 😉

Arduino The Documentary (2010) English HD from gnd on Vimeo.

PS: Kleine Welt. Bei der Herumsuche bin ich dann wieder auf Eli Skipp aus Chicago gestossen, die zusammen mit fin bei der #journeyvienna unterwegs war, und die sich aus einem Arduino einen Handschuh fuer explosive High-Fives baut. Awesome.

Addendum 2016-03-04: Der urspruengliche Entwickler von Wiring hat der Arduino-Geschichte auch noch etwas hinzuzufuegen. Die Doku sollte im Kontext seiner Aussagen gesehen werden.

Dieses Format wird von mir nicht unterstuetzt

Kleine Ankuendigung: Wer mir per E-Mail irgendwelche Daten zukommen lassen moechte, braucht es seit dem 1. Januar 2011 gar nicht mehr erst mit MS-Office-Dateiformaten versuchen.

Das hatte ich zusammen mit einem Studienkollegen letztes Jahr eher so nebenbei beschlossen — heute habe ich nun zum ersten Mal eine Excel-Liste zurueckgewiesen, und ich werde generell nichts mehr entgegennehmen, was im MS-Office-Format bei mir im Postfach eintrudelt. Ausgehend setze ich schon laengere Zeit auf ODF, aber eingehend kommen immer noch zu gefuehlten 70% .doc, .xslx und Konsorten an.

Ich weiss noch nicht, ob ich die Zurueckweisung der betroffenen Dateiformate vielleicht auch per Sieve automatisieren soll, oder ob das von Hand geht. Vor allem aber bin ich gespannt, ob und wie haeufig das zu nachhaltigem Umdenken fuehren wird.