Gletscherprise

Ulm Hauptbahnhof, Gleis 8. Eigentlich sollte in drei Minuten die Regionalbahn nach Memmingen hier abfahren, stattdessen steht ein Dieseltriebwagen nach Biberach am Gleis.

Auf der Bank ein aelterer Mann mit einem Bollen Schnupftabak auf dem Handruecken. Stoffhose, braune Lederschuhe und Adidas-Jacke, neben ihm eine Herrenhandtasche und ein Gehstock abgelegt. Kritischer Blick zur Abfahrtstafel, auf der in voelliger Ignoranz der aktuellen Uhrzeit ebenfalls die Biberacher RB mit Abfahrtszeit vor zehn Minuten angezeigt wird. Sein Gesicht wird noch verdriesslicher, waehrend er noch etwas mehr Gletscherprise auf seinen Handruecken klopft.

Ein zweiterer aelterer Herr neben dem Treppenabgang bemerkt den missmutigen Gesichtsausdruck und erklaert, dass man da wohl noch auf einen Fernverkehrszug warte, und die RB nach Memmingen sicher bereitgestellt werden wuerde, sobald der Biberacher Zug weg ist. Er kennt sich offenbar aus im Bahnverkehr und hat sogar schon die Doppelgarnitur VT650 mit Zugziel Memmingen auf einem Nebengleis entdeckt, die nur darauf wartet, dass Gleis 8 frei wird.

Der Schnupfer zieht eine Grimasse, klopft auf seine Gletscherprisendose, sieht noch einmal kritisch zur Abfahrtstafel und knurrt: „Wenn erscht amol die Schduddgart-Oisazwanzig-Schdrecke baut isch. Na lauft des.“, bevor er sich den Tabak in das Nasenloch schiebt. Der erfahrene Bahnfahrer klappt den Mund zweimal auf und zu, haelt dann kurz inne und spart sich einen Kommentar.

Der Biberacher Zug faehrt ab. Durchsage: Lassen Sie ihr Gepaeck nicht unbeaufsichtigt.

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